Ein Tag in der BOS-Waldschule

Ein Tag in der BOS-Waldschule

Eines der High­lights unseres Webi­nars „Hangout with Oran­gutans“ am dies­jäh­rigen Welt-Orang-Utan-Tag war das vier­tei­lige Video­ta­ge­buch aus unserem Rettungs­zen­trum Nyaru Menteng – das „Wild Strea­ming“. Inzwi­schen sind alle vier Folgen auf dem BOS-YouTube-Kanal zu finden. Begleiten Sie uns ins größte Prima­ten­schutz­zen­trum der Welt, wo wir Ihnen den Alltag unter Corona-Bedin­gungen zeigen. Viel Spaß.

In der ersten Folge heißt es „Auf geht’s zur Wald­schule“. Wir sind ganz nah dabei, wenn die Baby­sit­te­rinnen sich auf ihren Arbeitstag im Wald vorbe­reiten. Wir erleben die aufge­regten Orang-Utans, die es kaum erwarten können, sich auf den Schulweg zu machen. Und dann doch trödeln… Wir erfahren, warum Bumi nicht selbst zur Schule läuft und wie die Baby­sit­te­rinnen Klas­sen­clown Otong in den Griff kriegen. Kurz: Wir sind ganz nah dabei.

Otong auf dem Weg zur Waldschule
Otong auf dem Weg zur Waldschule

Die zweite Folge nimmt uns mit in den Unter­richt der “Wald­schule” unseres Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trums Nyaru Menteng. Hoch­kon­zen­triert folgen die Wald­schüler aus Gruppe 3, wenn Baby­sit­terin Sri ihnen zeigt, wie man an die prote­in­rei­chen Termiten im morschen Holz kommt und wie schmack­haft das saftige Mark von Stän­geln und Wurzeln ist. Nach einer Klet­ter­partie – um an die hoch­hän­genden süßen Früchte zu gelangen – genießen die kleinen Orang-Utans ihre wohl­ver­diente Trink­pause. Gut gear­beitet, Kinder. So werden bald fähige Regen­wald­be­wohner aus euch.

Lernen in der Waldschule
Lernen in der Waldschule

Nach einem langen und aufre­genden Wald­schultag dürfen sich unserer Schütz­linge in der dritten Folge „Spiel­platz­zeit“ im Rettungs­zen­trum Nyaru Menteng noch ein biss­chen austoben und mit einem Snack erholen. Wir erfahren, mit welchen Tricks die Baby­sit­te­rinnen versu­chen, Alejandra ihre Medizin zu verab­rei­chen und sind bei der letzten Lektion des Tages dabei: Wie kommt man geschickt an den süßen Honig? Und schließ­lich heißt es „Gute Nacht“ für Bumi und Bravis, Jacqui, Sari und Mema. Die Baby­sit­te­rinnen haben die Schlaf­nester schon gemüt­lich vorbreitet. Na dann: Schlaft gut, ihr Waldschüler.

Die Augen sind müde und schwer bei unseren kleinsten Schütz­lingen im Baby­haus. Es ist „Zeit fürs Bett­chen“. Dennoch wehren sich einige kleine Orang-Utans nach Kräften gegen den Schlaf. Man könnte ja etwas verpassen… Doch es hilft nichts. Es ist höchste Zeit fürs Bett­chen! Die Baby­sit­te­rinnen verteilen noch eine letzte Runde Bananen und Milch­fläsch­chen, damit das Bäuch­lein gut gefüllt ist für eine ruhige Nacht. Wer dann immer noch nicht ins Schlaf­körb­chen oder in die Hänge­matte will, der bekommt noch eine Extra­kuschel­runde. Und dann…hören wir nur noch leises Schnar­chen. Und ein kleiner Orang-Utan nach dem anderen schlum­mert fried­lich ein und träumt von neuen Aben­teuern in der BOS-Waldschule.

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Para­si­ten­be­fall, Vire­n­er­kran­kungen & andere Herausforderungen

Para­si­ten­be­fall, Vire­n­er­kran­kungen & andere Herausforderungen

Viele Faktoren beein­flussen den Erfolg von Orang-Utan-Auswil­de­rungs­pro­grammen. Zum Beispiel die Fähig­keiten der neuen Wilden, selbst­ständig und sicher im Regen­wald zu leben. Aber auch Para­si­ten­be­fall, bakte­ri­elle und virale Infek­tionen, Krank­heiten, Verlet­zungen und vor allem der voran­schrei­tende Lebens­raum­ver­lust und die ille­gale Jagd auf die vom Aussterben bedrohten Menschen­affen spielen eine Rolle. Im folgenden Artikel gehen wir genauer auf einige Gefah­ren­quellen ein und berichten, wie wir unsere Schütz­linge best­mög­lich auf ein Leben in freier Wild­bahn vorbereiten.

Para­si­tärer Befall bei Orang-Utans 

Wie auch der Mensch oder andere Tiere, so können sich Orang-Utans mit einer Reihe von Para­siten infi­zieren. Dazu gehören verschie­denen Formen von para­si­tären, Darm bewoh­nenden Proto­zoen, Faden­wür­mern, Saug­wür­mern, Haken­wür­mern und Band­wür­mern, die verstärkt Jung­tiere, aber auch erwach­sene Tiere befallen (1). Daher werden unsere Schütz­linge, wie auch bei Haus­tieren wie z. B. Hunden und Katzen üblich, alle drei Monate auf Para­siten getestet und bei Bedarf entwurmt (2). In freier Wild­bahn spielt die Ernäh­rung eine wich­tige Rolle bei der Para­si­ten­be­kämp­fung. Man hat fest­ge­stellt, dass Orang-Utans, die in der freien Wild­bahn bestimmte Pflanzen verzehren, weniger Para­siten aufweisen (3).

Orang-Utans benutzen Heilpflanzen

Eine vor Kurzem veröf­fent­lichte Studie zeigt, dass sich Orang-Utans im Regen­wald selbst verarzten (4): Mehrere Tiere wurden dabei beob­achtet, wie sie Blätter von der zu den Drachen­bäumen gehö­renden Pflanze Dracaena cant­leyi abbra­chen, zerkauten (obwohl sie sehr bitter schmeckt!) und den schau­migen Pflan­zen­brei auf ihre Arme und Beine verteilten und ihn sogar zwischen 15–45 Minuten lang einmassierten. 

Pflanzenmedizinexperte
Pflanzenmedizinexperte

Inter­es­san­ter­weise wird die Pflanze auch von der lokalen Bevöl­ke­rung auf Borneo als Heil­pflanze verwendet – um Gelenk- und Muskel­ent­zün­dungen zu behan­deln. Phar­ma­ko­lo­gi­sche Analysen haben gezeigt, dass die Wirk­stoffe der Pflanze entzün­dungs­hem­mende Eigen­schaften besitzen und sogar die Wund­hei­lung fördern (4). Die Forscher vermuten, dass sich die Menschen das Verhalten von den Orang-Utans abge­schaut haben.

Bakte­ri­elle und virale Erkrankungen

Orang-Utans sind auch anfällig für im Menschen vorkom­mende bakte­ri­elle Erkran­kungen (wie Tuber­ku­lose) und virale Erkran­kungen. Tiere, die vor ihrer Rettung gezwungen waren in engem Kontakt mit infi­zierten Menschen zu leben, sind daher beson­ders gefährdet. Aber auch in freier Wild­bahn kommen Virus­er­kran­kungen vor. In einer groß ange­legten Studie wurden 84 wilde Orang-Utans auf Viren­in­fek­tionen unter­sucht. Die Forscher konnten elf verschie­dene Viren nach­weisen, darunter soge­nannte Arbo­viren, die über Moskitos, Fliegen und Zecken über­tragen werden wie zum Beispiel das Dengue-Virus und Malaria, oder andere Viren wie zum Beispiel Herpes­viren, Rota­viren, Mumps und Grip­pe­viren (5).

Laborproben
Laborproben

Orang-Utans sind manchmal auch mit Hepa­titis A oder mit humanem oder Orang-Utan spezi­fi­schem Hepa­titis B infi­ziert. Glück­li­cher­weise sind die Virus­er­kran­kungen oft bereits ausge­heilt und nur noch körper­ei­gene Anti­körper nach­weisbar. Falls das nicht der Fall ist, werden die Tiere von unserem erfah­renen Tier­ärz­te­team behandelt.

Coro­na­virus SARS-CoV‑2 – eine große Gefahr für Menschenaffen

Menschen­affen sind anfällig für mensch­liche Atem­wegs­er­kran­kungen. Viren, die beim Menschen nur leichte Symptome hervor­rufen, können für Menschen­affen manchmal tödlich enden. Bei manchen Schim­pansen Popu­la­tionen in Tansania stellen mensch­liche virale Atem­wegs­er­kran­kungen bereits die Haupt­to­des­ur­sache dar (6). Auch ca. 20% der Todes­fälle bei Berg­go­rillas werden durch vom Menschen über­tra­gene Viren verur­sacht. Dies geschieht oft dadurch, dass Touristen den gesetz­lich vorge­schrie­benen Sicher­heits­ab­stand von sieben Metern nicht einhalten (6). Bisher gibt es zur Über­tra­gung von COVID-19 auf Menschen­affen noch keine veröf­fent­lichten wissen­schaft­li­chen Studien. 

Hoffentlich kein Fieber
Hoffent­lich kein Fieber

Da aber mitt­ler­weile bekannt ist, dass auch andere Tiere, wie zum Beispiel Katzen und Frett­chen, mit SARS-CoV‑2 infi­ziert werden können (7) und die Tatsache, dass unser Erbgut zu ca. 97% mit dem von Orang-Utans über­ein­stimmt (8), lässt Experten befürchten, dass SARS-CoV‑2 für die Menschen­af­fen­po­pu­la­tionen mögli­cher­weise verhee­rende Folgen haben könnte. 

Unser Team unter­nimmt derzeit alles, um unsere Schütz­linge in den Schutz­zen­tren vor der gefähr­li­chen Corona-Pandemie zu schützen und sie auf das teils aben­teu­er­liche Leben in freier Wild­bahn vorzubereiten. 

Leider haben viele Orang-Utan Waisen­kinder ihre Mutter bereits in jungen Jahren verloren – durch Wilderei oder durch den ille­galen Wild­tier­handel, bei dem die jungen Orang-Utans brutal von ihrer Mutter getrennt und als Haus­tiere verkauft werden. Sie hatten in dieser kurzen, kost­baren Zeit, die sie mit ihrer Mutter verbringen durften, nicht genü­gend Gele­gen­heit, um all die wich­tigen Fähig­keiten zu lernen, die man als erwach­sener Orang-Utan im Regen­wald zum Über­leben benö­tigt. In den BOS-Schutz­zen­tren ange­kommen, durch­laufen die junge Orang-Utan-Waisen daher ein im Durch­schnitt sechs bis acht Jahre langes Trai­ning in unseren Wald­schulen, um sie auf ein eigen­stän­diges Leben in Frei­heit vorzu­be­reiten. Sie müssen beispiels­weise lernen wie man essbare Früchte und Pflanzen findet und erkennt, Werk­zeuge baut und verwendet, sich von gefähr­li­chen Tieren wie Schlangen fern­hält, in großen Höhen sicher klet­tert, sich im dichten Wald ziel­si­cher orien­tiert, und wie man sich gegen­über anderen Orang-Utans verhält. 

Auch Klet­tern muss gelernt sein

Man hat fest­ge­stellt, dass ca. 30% der wilden Orang-Utans verheilte Knochen­brüche von Klet­ter­un­fällen aufweisen (9). Da Orang-Utans die größten baum­be­woh­nenden Säuge­tiere sind und ausge­wach­sene Männ­chen bis zu 90 kg schwer (!) werden, ist das nicht allzu überraschend. 

Klettern will gelernt sein
Klet­tern will gelernt sein

Norma­ler­weise lernen die Menschen­affen von ihren Müttern, wie man sich sicher hoch oben in den Baum­kronen fort­be­wegt und morschem Geäst und Ästen, die nicht stark genug sind um einen Orang-Utan zu tragen, ausweicht.

Gefahren am Boden

Zur Vorbe­rei­tung auf ein eigen­stän­diges Leben in Frei­heit gehört auch, ihnen Attrappen von gefähr­li­chen Tieren zu zeigen, um sie für den Ernst­fall vorzu­be­reiten. Da die meisten Beute­greifer wie Sunda-Nebel­parder, Schlangen und sogar Kroko­dile am Boden anzu­treffen sind, wird den jungen Orang-Utans beigebracht, wie man hoch oben in den Bäumen lebt, auf Nahrungs­suche geht, sich fort­be­wegt und auch Schlaf­nester für die Nacht baut.

Viele der Orang-Utans in unseren Schutz­zen­tren haben bereits den mehr­stu­figen Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess durch­laufen und sind bestens für ein Leben in der freien Natur vorbe­reitet. Leider müssen sie aufgrund der aktu­ellen Gefähr­dung durch den Corona-Virus zurzeit auf ihre Auswil­de­rung warten. Und inzwi­schen wird der Platz in unseren sicheren Auswil­de­rungs­wäl­dern auch knapp.

Helfen sie uns dabei mehr Schutz­wald für die Orang-Utans zu sichern! Werden auch Sie zum BOS-Unter­stützer. Mit Ihrer Spende helfen Sie den Orang-Utans, dem Regen­wald und damit auch unserem Klima. Jeder Beitrag hilft.

Text: Dr. Isabelle Laumer

 

Die BOSF Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­tren werden durch das inter­na­tio­nale tier­ärzt­liche Fach­ärz­te­team OVAG (Oran­gutan Vete­ri­nary Advi­sory Group) beraten. Meetings und Work­shops für Mitar­beiter finden jähr­lich statt.

Refe­renzen:

  1. Labes, E; Hegglin, D; Grimm, F; Nurcahyo, W; Harrison, M E; Bastian, M L; Deplazes, P (2010). Intestinal para­sites of endan­gered oran­gutans (Pongo pygmaeus) in Central and East Kali­mantan, Borneo, Indo­nesia. Para­si­to­logy, 137(1):123–135.
  1. Oran­gutan Vete­ri­nary Advi­sory Group work­shop report (2013) Prepared with parti­ci­pants of the Oran­gutan Conser­vancy, Bogor, Jawa, Indo­nesia, June 24–28, R. Commi­tante, S. Unwin (Editors). Oran­gutan Conser­vancy (OC).
  1. Foitová, I., Jarkovský, J., Dušek, L. & Koptí­ková, J. (2006) Rela­ti­onship between plant preva­lence in the oran­gutan diet and their coin­ci­dence with para­site presence. Report to Foun­da­tion UMI-Saving of Pongidae.
  1. Morrogh-Bernard, H.C., Foitová, I., Yeen, Z. et al. (2017) Self-medi­ca­tion by orang-utans (Pongo pygmaeus) using bioac­tive proper­ties of Dracaena cant­leyi . Sci Rep 7, 16653.
  1. Kilbourn AM, Karesh WB, Wolfe ND, Bosi EJ, Cook RA, Andau M. (2003) Health evalua­tion of free-ranging and semi-captive oran­gutans (Pongo pygmaeus pygmaeus) in Sabah, Malaysia. J Wildl Dis.;39(1):73–83.
  1. Gibbons A. (2020) Ape rese­ar­chers mobi­lize to save primates from coro­na­virus. Science, Vol. 368, Issue 6491, pp. 566.
  1. Shi J, Wen Z, Zhong G, et al. Suscep­ti­bi­lity of ferrets, cats, dogs, and other dome­sti­cated animals to SARS-coro­na­virus 2. Science. 2020;368(6494):1016–1020.
  1. Locke, D., Hillier, L., Warren, W. et al. (2011) Compa­ra­tive and demo­gra­phic analysis of orang-utan genomes. Nature 469, 529–533.
  1. Schultz A.H. (1969). The life of primates. Woking, Great Britain: Unwin Brot­hers Ltd., p. 281.
Die wilde Nobri – eine Geschichte die Hoff­nung schenkt

Die wilde Nobri – eine Geschichte die Hoff­nung schenkt

Es gibt eine Nach­richt, die wir neun Monate geheim gehalten haben. Aber jetzt wollen wir nicht länger warten! Auch wenn sich am Grund unserer Geheim­nis­krä­merei nichts geän­dert hat. Jetzt reicht es uns! Denn: Es gibt ein neues wildes Baby im Schutz­wald Bukit Batikap!!! Und warum haben wir das nicht gleich verkündet? Weil Mama Nobri ihr Kleines so gut vor uns versteckt, dass wir noch kein Foto machen konnten. 

Es war der 27. Januar 2020. Unser Beob­ach­tungs­team war wie immer im Schutz­wald Bukit Batikap unter­wegs und hielt Ausschau nach unseren ausge­wil­derten Orang-Utans. Da entdeckten sie, nicht weit vom Fluss­ufer des Joloi entfernt, Orang-Utans in einem Baum. Bei genauerem Hinsehen erkannten sie Manggo (15) mit ihrem 2019 erst­mals gesich­teten Baby. Daneben saß Nobri. So wie wir sie kennen: Empört über die Sich­tung von Menschen, tat sie ihren Ärger mit lauten Kuss­ge­räu­schen kund. Doch Moment mal – etwas war anders: An Nobris Seite klam­merte sich ein kleines, zartes Baby! Nobri war Mutter geworden! Und wir wurden Zeugen des ersten wild­ge­bo­renen Orang-Utan-Kindes des Jahres 2020. Es ist das 14. Baby, das in Bukit Batikap geboren wurde. 

Doch leider wollte Nobri ihr Glück nicht mit uns teilen. Sie verbrachte den ganzen Tag im Balda­chin des Regen­waldes, gut versteckt hinter Laub und Geäst. Unser Team konnte weder ein Foto von Mutter und Kind machen, noch das Geschlecht des Babys bestimmen. Wir hatten gehofft, dass sich bald eine weitere Gele­gen­heit ergeben würde, ein Foto zu machen. Doch bis heute hat Nobri das verhin­dert. Und so sehr uns das wurmt, sind wir eigent­lich recht stolz auf Nobri. Denn ihr Verhalten ist muster­gültig für einen wilden Orang-Utan, der nichts von uns Menschen wissen will. Und über­ra­schen tut es uns bei Nobri auch nicht. Lebt sie doch seit ihrer Geburt wild und (fast) frei. Trotzdem ist sie ein BOS-Schütz­ling. Wieso? Das erzählen wir jetzt – sozu­sagen zum Ausgleich für das fehlende Foto – etwas ausführlicher.

Shellis freie Tochter

Nobri erblickte am 29. August 2005 auf der Voraus­wil­de­rungs­insel Kaja das Licht der Welt. Doch ihre Geschichte beginnt eigent­lich viel früher – mit der Ankunft des acht­jäh­rigen Orang-Utan-Mädchens Shelli am 30. Mai 2001 in Nyaru Menteng. Shelli lebte bis dahin viele Jahre als ille­gales Haus­tier in Indo­ne­siens Haupt­stadt Jakarta. Dann wurde sie gerettet und zu BOS gebracht.

Shelli
Shelli

Obwohl sie all die Jahre in völliger Abhän­gig­keit von Menschen gelebt hatte, holte Shelli in der BOS-Wald­schule das nötige Wissen erstaun­lich schnell auf. In nur zwei Jahren war sie soweit: Ab 2003 durfte Shelli auf der Voraus­wil­de­rungs­insel ihre Fähig­keiten unter Beweis stellen. Und genau dort gebar sie 2005 ihre erste Tochter Nobri, die auf Kaja aufwuchs. Genau wie ein wilder Orang-Utan im Regenwald. 

Shelli war eine groß­ar­tige Mutter, die die kleine Nobri zu einem voll­kommen selbst­stän­digen Wald­men­schen aufzog. Ihre Unab­hän­gig­keit musste Nobri dann auch bereits im Alter von fünf Jahren unter Beweis stellen. Denn Shelli schenkte 2010 ihrer Tochter Forest das Leben. Und damit spielte Nobri fortan maximal die zweite Geige in Shellis Leben. Doch das war kein Problem für die immer schon frei­heits­lie­bende Nobri. 

Zu wild für die Auswilderung

Doch genau diese Unab­hän­gig­keit und ihre starke Abnei­gung gegen­über Menschen wurden Nobri 2013 zum Verhängnis. Denn die inzwi­schen Acht­jäh­rige war ausge­wählt worden, gemeinsam mit Mutter Shelli und Schwester Forest in Bukit Batikap ausge­wil­dert zu werden. Aber Nobri ließ sich nicht einfangen. Sie war zu vorsichtig und zu schnell, so dass unsere Tier­ärzte trotz unzäh­liger Versuche aufgeben mussten. Nobri blieb auf der Insel – und ein anderer Orang-Utan durfte an ihrer Stelle in die Wildnis umziehen. 

Nobri vor ihrer Auswilderung
Nobri vor ihrer Auswilderung

Nobris großer Moment sollte noch drei Jahre auf sich warten lassen. Als unsere Tier­ärzte die Kandi­daten für die zwölfte Auswil­de­rung aus Nyaru Menteng vorbe­rei­teten, bot sich eine Gele­gen­heit – und unser Team ergriff sie. Sie erwischten Nobri voll­kommen entspannt und ahnungslos und konnten sie endlich einfangen. So begann das Aben­teuer Regen­wald für dieses stolze Orang-Utan-Weib­chen am 22. April 2016 in Bukit Batikap.

Nobris Käfig ist auf
Nobris Käfig ist auf

Mit dem Moment der Käfig­öff­nung bewies Nobri ihre wilden Fähig­keiten. Und stellte unsere Beob­ach­tungs­teams vor enorme Heraus­for­de­rungen. Kein Baum war hoch genug für sie, kein Dickicht zu dicht. Und wütende Kuss­ge­räu­sche ertönten, sobald unsere Mitar­beiter ihr doch einmal zu nahe kamen. Dabei taten die doch nur ihren Job.

Immer ganz weit oben
Immer ganz weit oben

Große Sorgen

Im November 2017 gelang es unserem Team endlich einmal wieder, Nobri zu beob­achten. Doch obwohl sie sich von ihrer starken, unab­hän­gigen Seite präsen­tierte, begannen wir uns Sorgen um die Zwölf­jäh­rige zu machen. An ihrer Achsel­höhle war eine selt­same Schwel­lung zu erkennen. Weil ihr Verhalten aber völlig normal schien, entschied das Team, vorerst nicht einzu­greifen, Nobri aber weiterhin zu beobachten. 

Mit der Zeit jedoch wurden die Schwel­lungen an ihren Achseln größer. Und schlimmer noch: Ihr Kehl­sack schwoll an. In der Regel ein Zeichen für eine bakte­ri­elle Entzün­dung des Kehl­sacks und der Atem­wege, die sehr schmerz­haft ist und leider oft tödlich endet. Wir mussten schnell eingreifen, obwohl Nobri noch immer kraft­voll agierte und man ihr keinerlei Schmerzen ansah.

Der Kehlsack ist deutlich angeschwollen
Der Kehl­sack ist deut­lich angeschwollen

Es war Ende 2018, als unser Beob­ach­tungs­team Hilfe in Nyaru Menteng anfor­derte. Sofort machten sich der beste Scharf­schütze für Betäu­bungs­pfeile, Pak Sugi, gemeinsam mit Tier­arzt Greggy auf den drei Tage langen, beschwer­li­chen und gefähr­li­chen Weg in das Schutz­ge­biet. Nobri wurde sediert und ins Moni­to­ring-Camp gebracht, wo ihre Behand­lung begann. Mitten im Dschungel wurden zahl­reiche Opera­tionen durch­ge­führt, an die sich eine wochen­lange Anti­bio­ti­kakur schloss.

Not-OP im Wald
Not-OP im Wald

Zwei­ein­halb Monate musste Nobri im Camp behan­delt werden. Zwei­ein­halb Monate, die für die wilde Nobri nur schwer zu ertragen waren. Doch schließ­lich entschied der Tier­arzt: Nobri darf wieder in die Frei­heit zurück. Leider ist die Gefahr eines Rück­falls bei bakte­ri­ellen Kehl­sa­ck­ent­zün­dungen sehr hoch. Doch fürs erste hatte Nobri den Kampf gewonnen.
Mit dem festen Vorhaben, Nobri im Auge zu behalten, wurde sie Anfang 2019 erneut ausge­wil­dert.

Die zweite Auswilderung
Die zweite Auswilderung

Doch auch Nobri hatte einen Plan: So schnell und so weit wie möglich weg von allem was mensch­lich ist. 

Versteck­spiel im Regenwald

Wie sehr wir uns auch bemühten, von Nobri gab es keine Spur. Erst im Mai fanden wir sie wieder. Und Nobri war nicht erfreut darüber.
Sofort schallten dem Team Kuss­ge­räu­sche entgegen und erbost rüttelte Nobri an den Zweigen. Aber unser Team wusste, dass es dran bleiben musste. Je näher wir kamen, umso größer wurden unsere Ängste. Es schien, als sei ihr Kehl­sack wieder geschwollen. War die Entzün­dung zurück­ge­kehrt? Als die Nacht kam, mussten wir die Beob­ach­tung einstellen. Und als wir früh am nächsten Tag wieder zurück­kehrten, gab es keine Spur mehr von Nobri…

Unsere Sorge wuchs Woche für Woche, Monat für Monat. Egal wo wir suchten, egal wo wir unter­wegs waren, Nobri war unauf­findbar. Erst sechs Monate später hatten wir Erfolg. Wir empfingen ein Funk­si­gnal von Nobri! Aber es war schwach und setzte immer wieder aus. 

Wir hatten große Angst. Es war der 27. Januar 2020 – genau ein Jahr war vergangen, seitdem wir Nobri nach ihrer Behand­lung wieder ausge­wil­dert hatten. Wir suchten und folgten dem Signal. Und dann schließ­lich entdeckten wir Manggo in Beglei­tung von Nobri und ihrem süßen Geheimnis. 

Manggo
Manggo

Auch als Mutter blieb Nobri sich treu: So viel Abstand zu Menschen zu halten, wie möglich. In den höchsten Wipfeln der Bäume verbrachte sie den Tag, so gut versteckt, dass wir nicht einmal ein Foto vorzeigen können. Und das ist bis heute so geblieben. So gern wir der Welt  auch ihr Baby vorstellen würden, so sind wir doch auch stolz auf unsere Nobri. Denn genau so ein Verhalten wünschen wir uns von den Orang-Utans: Wild, frei, unab­hängig und weit weg von Menschen sollen sie im Regen­wald leben. 

Nobris Baby ist nicht nur der erste wild­ge­bo­rene Orang-Utan des Jahres 2020 in unseren Schutz­ge­bieten, sondern ein weiteres Baby der zweiten Gene­ra­tion des BOS-Rehabilitationsprogramms.
Fast 20 Jahre nachdem Shelli aus dem Groß­stadt­dschungel von Jakarta gerettet wurde, ist nun ihr Enkel frei im wilden Regen­wald Borneos geboren worden. Nobris Geschichte zeigt uns, dass es immer Hoff­nung gibt. Ganz gleich, wie unüber­windbar die Hinder­nisse erscheinen mögen – wenn wir ihnen eine Möglich­keit bieten, werden die Orang-Utans auch einen Weg finden.

 

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Ein Geschenk mit Wow-Effekt

Ein Geschenk mit Wow-Effekt

Welche Mutter und welcher Vater kennt sie nicht: die kleinen Präsente, die Kinder einem auf dem Spiel­platz freu­de­strah­lend über­bringen. Die gefun­dene Kastanie, der deli­kate Sand­ku­chen, der wunder­schöne Stein. Auch einige unsere Orang-Utan-Kinder haben die Ange­wohn­heit, ihren Baby­sit­te­rinnen nach einem ereig­nis­rei­chen Tag im Regen­wald voller Stolz ihre gefun­denen Schätze als Geschenk zu überreichen. 

Die Orang-Utan-Mutter können sie nie ersetzen, unsere mensch­li­chen Baby­sit­te­rinnen in den BOS-Rettungs­zen­tren. Aber zumin­dest einen kleinen Ausgleich bieten sie vor allem den jüngeren Orang-Utan-Waisen. Vom ersten Moment an bei BOS sind sie an der Seite der kleinen Orang-Utans, bieten Tag und Nacht Trost, kümmern sich um alle Bedürf­nisse und leiten sie an auf ihrem Ausbil­dungsweg, der eines Tages in die Frei­heit des Regen­waldes führt. 

Paten-Orang-Utan Meryl mit ihrer Babysitterin
Paten-Orang-Utan Meryl mit ihrer Babysitterin

Die Baby­sit­te­rinnen sind es, die den kleinen Orang-Utans in der Wald­schule zeigen, wie sie Futter finden, wie sie ein Schlaf­nest bauen und wie sie die Bäume erklimmen können. Sie über­nehmen, was die echte Orang-Utan-Mutter tragi­scher­weise nicht mehr leisten kann.

In der Wald­schule von Nyaru Menteng sind es vor allem die sechs­jäh­rigen Mädchen Malika und Meryl, die ihren Baby­sit­te­rinnen häufiger kleine Geschenke von ihren kurzen Streif­zügen durch den Regen­wald mitbringen. Die Baby­sit­te­rinnen freuen sich darüber immer sehr, zeigt es doch, dass die beiden Wald­schü­le­rinnen Fort­schritte in ihrer Ausbil­dung machen. Denn die Fähig­keit, ihre Umge­bung zu erfor­schen und Nahrung zu finden, ist ein wesent­li­cher Bestand­teil ihrer Reha­bi­li­ta­tion, um sie auf das Leben in freier Wild­bahn vorzubereiten.

Malika
Malika

Malika ist gerade in der Entwick­lungs­phase, in der sie beginnt, auch immer mehr Allein­gänge zu unter­nehmen. Am liebsten spielt sie stun­den­lang allein im Regen­wald. Wenn es dann Zeit wird, ins Rettungs­zen­trum zurück­zu­kehren, bringt sie ihren Baby­sit­te­rinnen Blätter, Zweige oder auch mal kleine Früchte mit. Daraus können die Baby­sit­te­rinnen ableiten, wie Malika ihre Zeit im Wald verbracht hat und was sie alles Neues gelernt hat. 

Meryl auf Entdeckertour
Meryl auf Entdeckertour

Auch Paten­tier Meryl hat die Ange­wohn­heit, ihre Baby­sit­te­rinnen immer wieder mit kleinen Geschenken zu erfreuen. Aller­dings scheint sie noch mehr Wert darauf zu legen, etwas Außer­ge­wöhn­li­ches von ihren Streif­zügen mitzu­bringen. Also ein Präsent mit Wow-Effekt.

So kam Meryl einmal von einem langen Tag im Wald zurück zum Lager­platz der Gruppe. Sie war müde, wirkte aber gleich­zeitig sehr aufge­regt. Sofort wandte sie sich an alle anwe­senden Baby­sit­te­rinnen, die gerade dabei waren, alles für den Heimweg ins Rettungs­zen­trum vorzu­be­reiten. Stolz streckte sie den Arm aus, öffnete die Hand­fläche – und erntete zunächst über­raschte Gesichter, dann lautes Lachen auf Seiten der Baby­sitter. Denn Meryl präsen­tierte das bis dato über­ra­schendste Wald­ge­schenk, dass je ein Orang-Utan-Schüler von seinen Streif­zügen mitge­bracht hatte: Eine dicke, fette, zappelnde Raupe.
Bravo Meryl, du bist jetzt schon eine große Entdeckerin.

Werden auch Sie zum Paten. Mit einer Paten­schaft helfen Sie unseren Wald­schü­lern auf ihrem Weg in die Frei­heit des Regenwaldes. 

Napri geht seinen Weg

Napri geht seinen Weg

Manchmal können wir es selbst kaum fassen, wie sich unsere Schütz­linge bei uns entwi­ckeln. Gerade waren sie noch ein hilf­loses Fell­bündel, bei dem wir bei der Rettung nicht einmal sicher waren, ob es die nächsten Stunden über­stehen wird. Und dann, ein paar Jahre später, haben sie sich zu gestan­denen Orang-Utans entwi­ckelt, die kurz davor sind, flügge zu werden. Unser Wald­schüler Napri ist genau so ein Fall.

Am 21. September 2015 wurde Napri aus einem Dorf im Bezirk Katingan in Zentral-Kali­mantan gerettet. Es war das Jahr der heftigen Brände auf Borneo und viele Orang-Utans verloren damals ihr Leben. So auch Napris Mutter. Ein Bauer fand ihn allein und unter­ernährt. Glück­li­cher­weise infor­mierte er die Natur­schutz­be­hörde BKSDA, die den kleinen Waisen nach Nyaru Menteng brachte, wo sich unser Ärzte­team seiner annahm. 

Napri bei seiner Rettung 2015
Napri bei seiner Rettung 2015

Er war gerade mal einen Monat alt – ein trau­riger, mutter­loser Winz­ling, der nur einein­halb Kilo auf die Waage brachte. 

Die Quaran­tä­ne­zeit nutze er unter der inten­siven Betreuung der Tier­ärzte und Baby­sit­te­rinnen, um zu Kräften zu kommen. Als er dann in die Baby­gruppe umziehen durfte, blühte Napri ein wenig auf. Es tat ihm gut mit Orang-Utans seines Alters zu spielen und zu lernen. Doch am liebsten war er allein mit seinem Kuscheltier. 

2016 erholt sich Napri nur langsam vom Verlust seiner Mutter
2016 erholt sich Napri nur langsam vom Verlust seiner Mutter

Zu seinen Baby­sit­te­rinnen baute er eine innige Bezie­hung auf und holte sich all die Strei­chel­ein­heiten, die er sonst bei seiner Mutter bekommen hätte. Und sobald ihm die größeren Kinder der Baby­gruppe zu nah kamen, flüch­tete sich Napri schnell in die sicheren Arme seiner Babysitterin.

Napri ist ein guter Kletterer
Napri ist ein guter Kletterer

Inzwi­schen ist Napri fünf Jahre alt und besucht die Wald­schul­gruppe 4 in Nyaru Menteng. Noch immer ist er eher ein unab­hän­giger Einzel­gänger, dabei aber immer sanft und freund­lich. Konfron­ta­tionen weicht er möglichst aus. Wenn seine Mitschüler spielen, geht er eigene Wege, übt sich im Klet­tern und Nest­bauen und sucht Futter. Der Klasse schließt er sich nur an, wenn es etwas zu futtern oder zu trinken gibt. Doch das schadet ihm nicht. Im Gegen­teil. In vielen Berei­chen ist er seinen Mitschü­lern inzwi­schen deut­lich voraus.

Unterwegs im Wald
Unter­wegs im Wald

So sind wir uns sicher, dass sich aus Napri in den kommenden Jahren ein Orang-Utan-Mann entwi­ckeln wird, der den Heraus­for­de­rungen der Wildnis hervor­ra­gend gewachsen sein wird. Und das trotz seines schweren Starts ins Leben. Weiter so, Napri!

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