Unser Jahr 2021 – ein Rückblick

Es war ein heraus­for­derndes Jahr. Aber dank Ihnen, haben wir auch in 2021 wieder sehr viel erreicht: Wir konnten mehr als 400 Orang-Utans und über 70 Malai­en­bären versorgen und haben einige unserer Wald­schüler auf Voraus­wil­de­rungs­in­seln in die „Wald­uni­ver­sität“ geschickt. Trotz verschärfter Auflagen ist es uns gelungen, 25 Orang-Utans in die sicheren Wälder Borneos auszu­wil­dern. Mehr als 200 Hektar Wald haben wir in den vergan­genen zwölf Monaten aufge­forstet und konnten dazu beitragen, die Lebens­be­din­gungen der Menschen vor Ort zu verbessern.

Wir haben noch viel vor. Ohne Sie wäre unsere Arbeit nicht möglich – dafür danken wir Ihnen von Herzen.

Jeder Beitrag hilft. 

Menschen stecken Orang-Utan mit Corona an!

Menschen stecken Orang-Utan mit Corona an!

Eine gute und eine schlechte Nach­richt hat mich heute ereilt. Die schlechte ist so unglaub­lich, dass ich damit beginnen muss: In den USA haben Zoo-Besucher:innen einen Orang-Utan mit Corona angesteckt. 

Schlimm genug, aber der Tather­gang ist schierer Wahn­sinn: Wie in den schlimmsten Vergnü­gungs­parks in Asien konnten Besucher:innen in Atlanta Selfies mit Orang-Utans machen. Auch ohne Corona eine nicht entschuld­bare Zurschau­stel­lung von Wild­tieren. Und mit Sicher­heit nicht die Idee der Affen. 

Orang-Utans zur Massenbelustigung
Orang-Utans zur Massen­be­lus­ti­gung in einem Vergnügungspark

Klein­laut wird jetzt auf die neu einge­führte Zehn-Meter-Abstands­regel verwiesen. Diese Regel ist inter­na­tio­naler IUCN Stan­dard, den alle Länder unter­schrieben haben. Und die in unseren Rettungs­sta­tionen schon sehr lange vor Corona strengs­tens befolgt wurden. 

Schutz­maske immer schon Alltag

So habe ich bei meinen Besu­chen unserer Rettungs­zen­tren in Indo­ne­sien noch nie einen Orang-Utan von wirk­lich nahem gesehen. Und dies trotz aller verlangten Impfungen (deswegen hatte ich dieses Jahr meinen dicht befüllten Impf­pass sehr schnell gefunden) und zehn Tagen Quaran­täne im Land, bevor ich ein Zentrum betreten durfte. Dann natür­lich auch schon lange vor Corona – wie alle Mitarbeiter:innen – mit Maske, deren Gebrauch bei den vor Ort herr­schenden Sauna­tem­pe­ra­turen mich nun nur schmun­zeln lassen, wenn ich hier zum Thema Maske etwas von „Maul­korb“ lese. Als Vergleich kann ich nur sagen, dass unsere Mitarbeiter:innen vor Ort täglich einen Ironman bei der Arbeit bestehen müssen, während wir hier wegen zehn Minuten einkaufen mit Maske einen Spazier­gang im Park veranstalten.

So nähern wir uns - zumal unter einer Pandemie - unseren Schutzbefohlenen
So nähern wir uns — zumal unter einer Pandemie — unseren Schutzbefohlenen

Bitte lasst Euch nicht verführen!

Leider muss ich auch immer häufiger hören, dass in anderen Rettungs­pro­jekten z. B. in Malaysia und Sumatra nicht so konse­quent auf Abstand und Masken geachtet wird. Das ist eine tickende Zeit­bombe! Deswegen mein Appel an dieser Stelle an alle Tourist:innen: Nur weil Ihr könntet, heißt das nicht dass Ihr müsst! Lasst Euch bitte nicht von Eurem Wunsch nach einem süßen Selfie mit einem Orang-Utan oder einem anderen Wild­tier für Insta­gram oder das private Foto­album verführen. Es geht mir nicht um Eure Gesund­heit, sondern um die der Schutz­losen (auch das kommt bekannt vor…). Für die Tiere, die mit Euch auf den Fotos zu sehen sind, bedeutet es meist eine Quälerei und immer eine Gefahr für die Gesundheit.
Die Guides in diesen Projekten sind chro­nisch unter­be­zahlt und drücken für ein erhofftes Trink­geld beide Augen zu, was ich leider auch schon erleben musste. 

Die einzige Form von Selfies mit Orang-Utans, die wir befürworten: Kamerafalle in unserem Auswilderungswald Bukit Batikap
Die einzige Form von Selfies mit Orang-Utans, die wir gutheißen: Kame­ra­falle in unserem Auswil­de­rungs­wald Bukit Batikap

Apropos Tourist:innen: Die gute Nach­richt soll nicht fehlen. Ein geplanter Affen-Strei­chel-Insta­gram-Zoo in Mittel­hessen wird aufgrund von breiten Protesten nun doch nicht reali­siert. So hat zumin­dest hier unsere Zivil­ge­sell­schaft mal positiv ihre Macht genutzt. Aber bitte dies auch im Urlaub nicht vergessen!

Haben Sie schon unsere Peti­tion zum Stopp der Orang-Utan-Shows in Thai­land und Kambo­dscha unterzeichnet?

Erfolg­reiche Auswil­de­rung zum Jahresende

Erfolg­reiche Auswil­de­rung zum Jahresende

Acht reha­bi­li­tierte Orang-Utans genießen seit dem Wochen­ende die Frei­heit des Natio­nal­parks Bukit Baka Bukit Raya in Zentral-Kali­mantan. Die Weib­chen Lido (15), Suci (6), Moni (15) und Ating (17) und die Männ­chen Sembara (13), Petto (16), Pickle (14) und Miko (11) konnten wir erfolg­reich in ihrer neuen Heimat freilassen.

2021 wollten wir eigent­lich unter dem Motto #Oran­gut­an­Freedom zele­brieren. Denn viele Orang-Utans warten in unseren Rettungs­zen­tren sehn­süchtig auf ihre Auswil­de­rung. Hoff­nungs­voll sind wir im Februar gestartet und brachten – mit dem Heli­ko­pter – zehn Tiere in den Regen­wald. Im Juni schenkten wir sieben Wald­men­schen die Frei­heit. Doch die Corona-Pandemie hatte Indo­ne­sien 2021 fest im Griff. Und die Frei­heit blieb uner­reichbar. So freuen wir uns umso mehr, nun, zum Jahres­ende, acht weiteren Tieren ein selbst­be­stimmtes Leben im Regen­wald schenken zu können. 

Mikos erste Schritte in seiner neuen Heimat
Mikos erste Schritte in seiner neuen Heimat

Unsere Bilanz für dieses Jahr: 25 Neue Wilde, die hoffent­lich dazu beitragen können, die bedrohte Popu­la­tion der Borneo-Orang-Utans zu stärken und zu vermehren.

Die Reise in den Auswilderungswald ist fordernd
Die Reise in den Auswil­de­rungs­wald ist fordernd

Unsere Kolleg:innen gaben wieder einmal alles. Tag und Nacht ging die Reise, teil­weise bei strö­mendem Regen, von Nyaru Menteng aus tief in den geschützten Regen­wald des Natio­nal­parks Bukit Baka Bukit Raya.

Regen verwandelt die Wege in Matschpisten
Regen verwan­delt die Wege in Matschpisten
Auch bei Dunkelheit geht die Reise weiter - und der Hunger der Orang-Utans muss auch mitten in der Nacht gestillt werden
Auch bei Dunkel­heit geht die Reise weiter — und der Hunger der Orang-Utans muss auch mitten in der Nacht gestillt werden

Mit der Öffnung der Trans­port­boxen beginnt das neue Leben unserer Schützlinge. 

Pickle erobert sein neues Revier
Pickle erobert sein neues Revier

Unsere Arbeit ist damit noch nicht vorbei. Denn unsere Beob­ach­tungs­teams (Post­re­lease-Moni­to­ring-Teams) folgen den ausge­wil­derten Orang-Utans die ersten Tage auf Schritt und Tritt. 

Miko war eines unserer Patentiere. Jetzt lebt er in Freiheit
Miko war eines unserer Paten­tiere. Jetzt lebt er in Freiheit

So können wir sicher gehen, dass sie sich gut in ihrem neuen Lebens­raum zurecht­finden. Und – im Notfall – können wir eingreifen.
Sobald wir Neuig­keiten aus dem Regen­wald erfahren, werden wir berichten, wie sich Miko, Pickle und die anderen in ihrem neuen Zuhause einge­lebt haben.

Die Äste in Bukit Baka Bukit Raya scheinen Suci zu schmecken
Die Äste in Bukit Baka Bukit Raya scheinen Suci zu schmecken

Wir wünschen den acht neuen Dschun­gel­be­woh­nern eine gute Zeit im Regenwald!

Möchten Sie einen Orang-Utan auf dem Weg in die Frei­heit unter­stützen und begleiten? Dann über­nehmen Sie doch eine Patenschaft.

Neun neue Wald­stu­denten starten ihr Unileben

Neun neue Wald­stu­denten starten ihr Unileben

Vor zwei Tagen haben neun reha­bi­li­tierte Orang-Utans ein neues Leben auf der Voraus­wil­de­rungs­insel Pulau Bangamat in Zentral-Kali­mantan begonnen. Einer von ihnen ist Erik, der durch die TV-Doku “Oran­gutan Jungle School” trau­rige Berühmt­heit erlangte. Eine drama­ti­sche Infek­tion am Kopf bedrohte damals sein Leben. Glück­li­cher­weise konnten unsere Tier­ärzte ihn retten. Und nun muss er — wie auch die anderen acht Primaten — auf der Wald­uni­ver­sität beweisen, dass er bereit ist für die große Frei­heit Regen­wald. In einer Bilder­ge­schichte begleiten wir die Wald­stu­denten in ihr neues Zuhause.

Unge­duldig haben die Wald­men­schen auf diesen Tag gewartet. Sie waren bereit für ihre letzte große Prüfung vor der Auswil­de­rung. Bereit, sich auf der Insel zu beweisen. Doch dann kam der große Regen. Hoch­wasser über­flu­teten weite Teile Borneos. Auch unsere Inseln waren betroffen. Und so verschob sich die geplante Voraus­wil­de­rung von neun reha­bi­li­tierten Orang-Utans um mehr als eine Woche. Doch schließ­lich zog sich das Wasser zurück. Und die Teams in Nyaru Menteng legten sich ins Zeug, damit die Voraus­wil­de­rung gut über die Bühne gehen konnte.
Zunächst standen die letzten medi­zi­ni­schen Checks an. Mit einer leichten Sedie­rung ließen die vier Männ­chen und fünf Weib­chen diese entspannt geschehen — und fanden sich sodann in ihren Trans­port­boxen wieder.

 Nach den letzten medizinischen Checks, werden die Orang-Utans zu den Transportboxen chauffiert
Vorbe­rei­tung: Nach den letzten medi­zi­ni­schen Checks, werden die Orang-Utans zu den Trans­port­boxen chauffiert
Alles ist bereit, gleich geht es los. Jetzt müssen die Kisten mit der wertvollen Fracht noch auf die Geländefahrzeuge verladen werden
Alles ist bereit, gleich geht es los. Jetzt müssen die Kisten mit der wert­vollen Fracht noch auf die Gelän­de­fahr­zeuge verladen werden

Nach einer kurzen Auto­fahrt ging es per Boot weiter. Noch immer führen die Flüsse reich­lich Wasser. Damit die Orang-Utans, die nicht schwimmen können, diese Reise sicher über­stehen, wird jede Trans­portbox mit Schwimm­hilfen gesichert.

Im Wassertaxi geht es dann auf zur Vorauswilderungsinsel Pulau Bangamat
Im Wassertaxi geht es dann auf zur Voraus­wil­de­rungs­insel Pulau Bangamat
Vor einer Woche herrschte auf der Insel noch teilweise Land unter wegen des Hochwassers. Noch immer führen die Flüsse reichlich Wasser. Doch die Transportboxen sind mit Schwimmhilfen gesichert
Vor einer Woche herrschte auf der Insel noch teil­weise Land unter wegen des Hoch­was­sers. Noch immer führen die Flüsse reich­lich Wasser. Doch die Trans­port­boxen sind mit Schwimm­hilfen gesichert

Ein kleiner Rückblick

Unter den neuen Waldstudent:innen ist Erik eine kleine Berühmt­heit. Denn während der Dreh­ar­beiten zur “Oran­gutan Jungle School” 2017 und 2018 erkrankte er schwer. Die Zuschauer bangten mit dem armen Wicht, um den es wirk­lich drama­tisch schlecht stand. Eine gefähr­liche Entzün­dung berdohte sein Leben. Doch unsere erfah­renen Tier­ärzte konnten ihn retten. Und so konnte er sich glück­li­cher­weise komplett erholen.
Unver­gessen, wie Erik mit kahl­ge­scho­renem Schädel zurück in die Wald­schule kam. Und ihn seine Klas­sen­ka­me­raden mit ungläu­bigem Staunen wieder in ihrer Mitte begrüßten. Puh, was für eine Erleichterung.

 So haben wir Erik in Erinnerung. In der "Orangutan Jungle School" wurden wir Zeuge, wie er aufgrund einer dramatischen Entzündung an den Ohren, um sein Leben kämpfen musste. Und - als alles überstanden war - glatzköpfig in die Waldschule zurückkehrte
Ein Blick zurück: So haben wir Erik in Erin­ne­rung. In der “Oran­gutan Jungle School” wurden wir Zeuge, wie er aufgrund einer drama­ti­schen Entzün­dung an den Ohren, um sein Leben kämpfen musste. Und — als alles über­standen war — glatz­köpfig in die Wald­schule zurückkehrte

Nun hat er die Wald­schule abge­schlossen und darf endlich auf der Voraus­wil­de­rungs­insel beweisen, dass er bereit ist für den Regenwald.

Erik kurz vor seinem Umzug auf die Insel. Sehnsüchtig blickt er Richtung Freiheit
Erik kurz vor seinem Umzug auf die Insel. Sehn­süchtig blickt er Rich­tung Freiheit
 Das Abenteuer Walduniversität
Und los geht es für Erik: Das Aben­teuer Walduniversität
Der frisch immatrikulierte Student gönnt sich erstmal einen Snack, bevor der Ernst des Insellebens beginnt
Der frisch imma­tri­ku­lierte Student Erik gönnt sich erstmal einen Snack, bevor der Ernst des Insel­le­bens beginnt

Und so verliefen die ersten Insel­schritte der anderen acht Waldmenschen

Mit einem beherzten Sprung erreicht Svenja das Ufer ihrer neuen Heimat
Mit einem beherzten Sprung erreicht Svenja das Ufer ihrer neuen Heimat
Das Männchen Blegi startet mit viel Elan ins Unileben. Am Ufer erkennt man noch die Schäden, die das Hochwasser hinterlassen hat
Das Männ­chen Blegi startet mit viel Elan ins Unileben. Am Ufer erkennt man noch die Schäden, die das Hoch­wasser hinter­lassen hat
Das Orang-Utan-Weibchen Sahrini schaut sich erstmal vorsichtig in ihrem neuen Revier um, ehe sie sich in die Baumwipfel schwingt
Das Orang-Utan-Weib­chen Sahrini schaut sich erstmal vorsichtig in ihrem neuen Revier um, ehe sie sich in die Baum­wipfel schwingt
So einen reichlich gedeckten Tisch lässt sich Noni nicht entgehen. Das Weibchen unternimmt zunächst ein ausgiebiges Picknick. Mit gut gefülltem Bauch, studiert es sich auch besser
So einen reich­lich gedeckten Tisch lässt sich Noni nicht entgehen. Das Weib­chen unter­nimmt zunächst ein ausgie­biges Pick­nick. Mit gut gefülltem Bauch, studiert es sich schließ­lich auch besser
Sehr zielstrebig macht sich Yoko an die Erkundung seines neuen Zuhauses. Raus aus der Transportbox...
Sehr ziel­strebig macht sich Yoko an die Erkun­dung seines neuen Zuhauses. Raus aus der Transportbox…
...und rauf ins Geäst. Yoko will nicht länger warten
…und rauf ins Geäst. Yoko will nicht länger warten
Auch Orang-Utan-Dame Fatia hat es eilig, auf die Vorauswilderungsinsel zu kommen
Auch Orang-Utan-Dame Fatia hat es eilig, auf die Voraus­wil­de­rungs­insel zu kommen
Mutig und ohne zu zögern beginnt Tomag sein neues Leben...
Mutig und ohne zu zögern beginnt Tomag sein neues Leben…
...und scheint sich direkt sehr wohl zu fühlen auf der Insel
…und scheint sich direkt sehr wohl zu fühlen auf der Insel
 Wie gut kommen die Waldstudenten mit ihrem neuen Leben zurecht? Beginnen sie die Insel zu erkunden? Suchen sie sich Futter? Bauen sie Schlafnester?
Unsere Mitar­beiter haben viel zu tun, die neuen Insel­be­wohner im Blick zu behalten. Sie beginnen direkt mit der Samm­lung von Daten: Wie gut kommen die Wald­stu­denten mit ihrem neuen Leben zurecht? Beginnen sie die Insel zu erkunden? Suchen sie sich Futter? Bauen sie Schlafnester?
Weibchen Lala macht auf jeden Fall einen sehr selbstsicheren Eindruck. Macht es gut, Waldstudenten! Denn dann wartet bald die Freiheit des Regenwaldes auf euch
Weib­chen Lala macht auf jeden Fall einen sehr selbst­si­cheren Eindruck. Macht es gut, Wald­stu­denten! Denn dann wartet bald die Frei­heit des Regen­waldes auf euch

 

Möchten Sie einen Orang-Utan auf dem Weg in die Frei­heit unter­stützen und begleiten? Dann über­nehmen Sie doch eine Patenschaft.

Haben Orang-Utans ein dem Menschen ähnli­ches Gedächtnis?

Haben Orang-Utans ein dem Menschen ähnli­ches Gedächtnis?

Bis vor kurzem wurde noch von manchen Forschern argu­men­tiert, dass Tiere “stuck in time” wären, also nicht fähig, die Welt in voller zeit­li­cher Komple­xität mit Vergan­gen­heit und Zukunft wahr­zu­nehmen. Jedoch gibt es mitt­ler­weile einige Studien, die dies wider­legen. Menschen­affen haben eine sehr gute Erin­ne­rungs­fä­hig­keit. Sie können viele Jahre zuvor erlernte Infor­ma­tionen und Fähig­keiten abrufen, wie beispiels­weise die Technik, um ein bestimmtes Werk­zeug herzu­stellen (1). Doch was für Formen von Gedächtnis gibt es über­haupt? Und wie versu­chen Forscher, dieses bei unseren nächsten Verwandten nachzuweisen?

Gedächtnis bezeichnet die Fähig­keit — bewusst oder unbe­wusst — Infor­ma­tionen umzu­wan­deln, zu spei­chern und sie wieder abzu­rufen. Dabei werden Infor­ma­tion entweder kurz­zeitig im Kurz­zeit­ge­dächtnis, oder für einen längeren Zeit­raum im Lang­zeit­ge­dächtnis abge­spei­chert. Eine Subkom­po­nente des Lang­zeit­ge­dächt­nisses ist das Episo­dische Gedächtnis. In diesem kann abge­rufen werden, „was“, „wo“ und „wann“ passiert ist. Da Tiere uns nicht verbal mitteilen können, an was genau sie sich erin­nern können, sind erfah­rene Kogni­ti­ons­bio­logen und Prima­to­logen gefragt.

In Bezug auf das „wann“, so konnte gezeigt werden, dass ein Gorilla namens King sich daran erin­nern konnte, was er vor kurzem (vor ca. 7 Minuten) und 24 Stunden zuvor gegessen hatte (2). King erhielt von der Forscherin entweder einen Apfel, eine Banane, eine Birne, eine Orange oder Wein­trauben. Nach dem Zeit­in­ter­vall reichte ihm der Tier­pfleger, der bei der Fütte­rung nicht anwe­send war, fünf verschie­dene Symbol­karten, die das jewei­lige Futter darstellten. King konnte sich sowohl nach der kurzen, als auch nach der längeren Zeit­dauer an das jewei­lige Obst erin­nern. Auf die Frage „Was hast du gegessen?“, gab er dem Pfleger die rich­tige Karte zurück. Und er konnte sich sogar an die jewei­lige Person erin­nern, die ihm das Obst gegeben hatte. Auf die Frage „Wer hat dir das Futter gegeben?“ wählte er nach der kurzen, sowie nach der langen Zeit­spanne die rich­tige Symbol­karte für einen der zwei Forscher aus.

Orang-Utans teilen 97 Prozent ihrer DNA mit uns Menschen
Orang-Utans teilen 97 Prozent ihrer DNA mit uns Menschen

In einer weiteren Studie konnten Orang-Utans, Schim­pansen und Bonobos beob­achten, wie zwei Lecker­bissen, eine Wein­traube und Fruchteis („was“), getrennt vonein­ander versteckt wurden (“wo“; 3). Nach fünf Minuten konnten die Menschen­affen zwischen den beiden Verste­cken wählen. Nach dieser kurzen Zeit­dauer entschieden sie sich für das schnell schmel­zende Fruchteis. Nach einer Stunde Warte­zeit („wann“) wählten sie das Versteck mit der Wein­traube. Eine kluge Entschei­dung, denn das Fruchteis war zu diesem Zeit­punkt längst geschmolzen und nicht mehr verfügbar.

Spon­tane episo­dische Erin­ne­rungen, sind Erin­ne­rungen an persön­liche vergan­gene Ereig­nisse, die spontan ins Gedächtnis gerufen werden, ohne dass die Infor­ma­tion vorher abge­rufen wurde (4). Zum Beispiel kann ein einziger Hinweis, wie etwa ein Duft oder eine andere Wahr­neh­mung bei uns Menschen eine spon­tane auto­bio­gra­fi­sche Erin­ne­rung an etwas Vergan­genes auslösen. Ist das bei Menschen­affen auch der Fall?

Orang-Utans und Schim­pansen des Leip­ziger Zoos erin­nerten sich nach drei Jahren an ein bestimmtes Werk­zeug-Versteck Ereignis, als sie mit derselben Wissen­schaft­lerin, am selben Ort mit einer Werk­zeug­auf­gabe konfron­tiert wurden, die sie drei Jahre zuvor schon einmal erlebt hatten: ein Bana­nen­stück auf einer Platt­form außer­halb des Innen­ge­heges (5). Ziel­strebig suchten sie sofort in einem der Neben­räume in einer von zwei mögli­chen Boxen nach einem langen Stab, mit dem sie vor drei Jahren ein Stück Banane von genau dieser Platt­form angelten. Dann trans­por­tierten sie es zur Platt­form, um das Werk­zeug zu verwenden und an den Lecker­bissen heran­zu­kommen. Und dies, obwohl sie in den vergan­genen drei Jahren an anderen Aufgaben mit derselben Forscherin teil­ge­nommen hatten. Erst die spezi­elle Werk­zeug­auf­gabe löste dieses erstaun­liche Verhalten aus, bei dem anschei­nend die Erin­ne­rung an das lang zurück­lie­gende Verste­ck­ereignis getrig­gert wurde (5).

 Martin-Ordas et al., 2013).
Grafi­sche Darstel­lung der Aufgabe. Ein Schim­panse verwendet den Stab um an ein Stück Banane heran­zu­kommen. (Bild: Martin-Ordas et al., 2013).

Zusam­men­fas­send legen diese Ergeb­nisse nahe, dass mindes­tens zwei Menschen­af­fen­arten, Orang-Utans und Schim­pansen, sich für eine lange Zeit­dauer an bestimmte Ereig­nisse erin­nern und diese Erin­ne­rung spontan abrufen können, um ein bestimmtes Problem zu lösen (5). Drei Jahre ist eine sehr lange Zeit­spanne – nicht nur für Menschen­affen, sondern auch für uns Menschen.

Eines unserer wich­tigsten Ziele ist es, mehr Regen­wald­flä­chen zu erwerben und zu Schutz­wald für unsere Orang-Utans umzu­wan­deln. Helfen auch Sie, diesen faszi­nie­renden Lebens­raum und seine gewal­tige Arten­viel­falt zu erhalten und zu schützen. Jeder Beitrag hilft.

Text: Dr. Isabelle Laumer

Refe­renzen:

1.    Vale, G. L., Flynn, E. G., Pender, L., Price, E., Whiten, A., Lambeth, S. P., Kendal, R. L. (2016). Robust reten­tion and transfer of tool cons­truc­tion tech­ni­ques in chim­pan­zees (Pan troglo­dytes). Journal of Compa­ra­tive Psycho­logy, 130(1), 24–35.

2.    Schwartz B.L., Colon, M.R., Sanchez I.C., Rodri­guez I.A., Evans S. (2002) Single-trial lear­ning of “what” and “who” infor­ma­tion in a gorilla (Gorilla gorilla gorilla): impli­ca­tions for episodic memory. Animal Cogni­tion, DOI 10.1007/s10071-002‑0132‑0.

3.    Martin-Ordas G., Haun D., Colmenares F., Call J (2010) Keeping track of time: evidence for episodic-like memory in great apes. Anim Cogn 13:331–340.

4.    Berntsen, D. (1996). Invol­un­tary auto­bio­gra­phical memo­ries. Applied Cogni­tive Psycho­logy, 10(5), 435–454.

5.    Martin-Ordas G., Berntsen D., Call J. (2013) Memory for distant past events in chim­pan­zees and oran­gutans. Current Biology 23, 1438–1441.