Man muss kein Lego-Fan sein, um sich von den lebensnahen Modellen des Künstlers Felix Jaensch faszinieren zu lassen. Uns haben natürlich vor allem seine realistischen Orang-Utan-Skulpturen begeistert – zumal wir wissen, wie schwierig es sich gestaltet, die ausdrucksstarken Gesichter natürlich abzubilden. So haben wir beim Künstler nachgefragt, wie er eigentlich auf den Orang-Utan kam und was ihn an den Tieren so inspiriert.
Herr Jaensch, Sie haben (fast) lebensgroße, sehr beeindruckende Modelle von Orang-Utans aus Lego gebaut. Wieso ausgerechnet von diesen Tieren?
Ich habe zwar schon viele verschiedene Tiere gebaut, aber ich finde Orang-Utans besonders interessant und sympathisch. Daher wollte ich unbedingt ein großes Modell von diesen Tieren bauen.
Und wieso nutzen sie ausgerechnet eckige Plastiksteine, um Ihre Skulpturen zu erstellen?
Die meisten kennen Lego vor allem aus ihrer Kindheit. Allerdings ist Lego auch ein sehr gutes (und benutzerfreundliches) Medium, um Plastiken zu erstellen. Es ist jedoch sehr herausfordernd, organische Formen mit eckigen Steinen zu schaffen. Mich reizt diese Herausforderung. Und mich fasziniert das ganzheitspsychologische Phänomen, das unser Gehirn, ungeachtet aller Ecken und Kanten, das Ergebnis zu einem sinnvollen organischen Bild zusammenfügt.
Legosteine zum Leben erweckt
Was fasziniert Sie an Orang-Utans?
Mich faszinieren generell intelligente Tiere. Vom Kopffüßer bis zum Rabenvogel. Allerdings sind Orang-Utans eine außergewöhnliche Spezies. Selbst unter den Primaten. Insbesondere die technische Intelligenz ist ganz besonders ausgeprägt. Ihre Neugier und die Fähigkeit zur Antizipation sowie zur Problemlösung sind bemerkenswert. Allerdings mag ich Orang-Utans auch wegen ihres Sozialverhaltens. Natürlich ist das aggressive Potential bei Menschen und anderen Primaten manchmal ein evolutionärer Vorteil. Allerdings finde ich das Wesen des Orang-Utans sehr viel sympathischer.
Wie lange arbeiten Sie an einem so großen Modell? Und was sind die größten Herausforderungen?
Ich brauche Monate für ein großes Projekt. Die effektive Zeit kann ich nicht benennen.
Da ich kein Digitalprogramm benutze, ist die Form zunächst generell ein Problem. Man kann sagen, dass ich jedes Körperteil mindestens zweimal gebaut habe, bis ich zufrieden bin. Allerdings machen mir die Maße besonders zu schaffen. Ich versuche mittlerweile immer in Originalgröße zu bauen. Dafür braucht man relativ eindeutige Maßangaben. Diese sind jedoch schwer zu recherchieren und auch schwer umzusetzen. Meistens gibt es nur Angaben zur Kopf-Rumpflänge. Häufig nicht einmal das! Ich muss sehr viel abschätzen. Außerdem bin ich auf die Form und Größe der Steine zurückgeworfen. Da muss ich manchmal Kompromisse machen. Am Ende zählt der Gesamteindruck.
Die Natur zum Vorbild
Was sind Ihre Vorlagen? Wie gehen Sie so ein Projekt an? Wenn ich eine Idee für ein Modell habe, sammle ich Fotos aus Büchern und dem Internet. Ich suche verschiedene Quellen mit Größenangaben. Aber die sind, wie bereits gesagt, meistens unbefriedigend. Manchmal fertige ich auch einfache, lebensgroße Skizzen an, um die Proportionen einzuschätzen. Die endgültige Haltung und die Größe können aber während des Entstehungsprozesses leicht abweichen.
Wir haben gelesen, dass Sie Ihre Tier- und Menschmodelle mit dem Gesicht starten. Warum bauen Sie nicht von unten nach oben? Von unten nach oben zu bauen macht natürlich Sinn, wenn man eine Anleitung hat. Aber ich stehe erst einmal vor dem „Nichts“ und muss einen Anfang finden. Also fange ich mit dem Wichtigsten an. Wenn das dann nicht funktioniert, brauche ich gar nicht erst weiterzumachen. Und das Gesicht, insbesondere die Augen, sind für uns Menschen nun mal am wichtigsten, um das Gegenüber als Lebewesen wahrzunehmen.
Der Rest wächst dann meistens von oben nach unten. Ich schätze dabei die Größe und die Proportion anhand der bereits gebauten Partien ab.
Das Modell ist fast lebensgroß
Von anderen Künstlern hören wir immer wieder, wie schwierig es ist, gerade einen Orang-Utan ausdrucksstark abzubilden. Können Sie davon auch ein Liedchen singen? Ehrlich gesagt nicht. Wenn man sich mit der Spezies beschäftigt und genau hinsieht, gibt es eigentlich keinen Unterschied zu der Darstellung von anderer Primaten. Alle haben eine spezifische Physiognomie und eine typische Mimik. Allerdings sehe ich mir fast jeden Tag Bilder von Primaten und insbesondere Orang-Utans an. Vielleicht habe ich daher mehr Erfahrung.
Bauen Sie nur zum Spaß und Zeitvertreib oder haben Sie eine Intention? Ich bin Künstler, daher ist das Bauen mit Legosteinen mittlerweile sehr viel mehr als ein Zeitvertreib. Meine Intention ist es hauptsächlich Werke zu schaffen, die die Menschen faszinieren und unterhalten. Wenn ich dabei das Interesse für Zoologie wecke oder stärke, finde ich das sehr gut. Wenn ich sie auf die Bedrohung von Orang-Utans aufmerksam machen sollte, umso besser! Aber ich möchte mit meiner Kunst nicht aufdringlich sein. Ich habe eine Abneigung gegen Kunst, die dem Publikum eine Aussage aufdrängt. Das finde ich mehr als anmaßend. Sogar respektlos, wenn sich der Künstler dabei für die handwerklichen Ausführung noch nicht einmal Mühe gibt und die Schöpfungshöhe allein in der Metaebene sieht.
Stellen Sie Ihre Modelle auch aus? Kann man sie irgendwo in natura bewundern? Zurzeit nicht. Mal sehen, ob es vielleicht nächstes Jahr die Möglichkeit gibt.
Stehen Sie in Kontakt zum Lego-Konzern? Haben die Interesse, Ihre Modelle in Parks, Läden o. ä. auszustellen? Ich bin freier Künstler und habe bisher keinen Kontakt zum Legokonzern.
Was sind Ihre nächsten Baupläne? Ich habe noch einige unvollendete Projekte. Zum Beispiel einen Marabu, einen Kolkraben und mehrere Personen.
Bei so großen Modellen braucht man ja tausende von Steinen. Und sind sie fertig, nehmen sie viel Raum in der Wohnung ein. Wie muss man sich das bei Ihnen vorstellen? Begegnet man in Ihrer Wohnung überall Affen, Vögeln, Hunden und anderen Lego-Objekten? Oder nehmen Sie die Modelle nach einiger Zeit wieder auseinander? Ich habe tatsächlich viele meiner Modelle hier in der Wohnung stehen. Teilweise erinnert es an Taxidermie. Wenn ich ein Modell vollendet habe, nehme ich es in der Regel nicht mehr auseinander.
Ich bin jedoch selten endgültig mit einem Modell zufrieden. Daher kann es sein, dass ich später noch kleine Veränderungen vornehme.
Eines der wichtigsten Kriterien für eine erfolgreiche Auswilderung ist, sich in freier Wildbahn selbstständig ernähren zu können. Normalerweise lernen Orang-Utan-Kinder diese wichtige Überlebensfertigkeit von ihrer Mutter. Unsere Waisenkinder in den BOS-Rettungszentren nehmen daher am mehrjährige Waldschulprogramm teil.
Je nach Verbreitungsgebiet und Waldbeschaffenheit ernähren sich Orang-Utans von etwa 100 bis zu knapp 400 verschiedenen Pflanzenarten (1). Dabei verzehren sie – je nach Gebiet – auch oft unterschiedliche Teile der Pflanzen, wie etwa Frucht, Blüten, Blätter, Rinde oder Mark (1). Orang-Utans fressen primär Früchte – falls diese verfügbar sind. Zu den bevorzugten Waldfrüchten gehören zum Beispiel Mangos, verschiedene Feigenarten, Zibetfrüchte, Litschipflaumen und Jabon Früchte.
Wald-Mango
Neben Früchten werden auch Blätter, Blattsprossen, Ameisen, Termiten, Raupen, Grillen und andere Insekten, mineralhaltige Erde, Honig, gelegentlich sogar Vogeleier und kleine baumlebende Wirbeltiere (2) gefressen. In Zeiten von Fruchtknappheit verbringen Orang-Utans weniger Zeit damit, im Regenwald umherzustreifen. Dann investieren sie mehr Zeit in die Nahrungsaufnahme. Man kann sie oft dabei beobachten, wie sie die Rinde von speziellen Baumarten entfernen, um an das Baumkambium – eine nährstoffreiche Schicht direkt unter der Rinde – heranzukommen.
Wie lange dauert es in freier Wildbahn, bis das Jungtier all das Know-how der Nahrungsbeschaffung erlernt hat?
Bis das Jungtier ein ähnliches Nahrungsspektrum wie das der Mutter entwickelt hat, dauert es etwa acht Jahre (siehe Grafik; 3).
Wie lernen Orang-Utan-Kinder?
Orang-Utan-Mütter unterrichten ihren Nachwuchs nicht aktiv, sondern Jungtiere lernen durch Zuschauen und selbstständiges Ausprobieren. Im Laufe ihrer Entwicklung bis zum Alter von etwa 15 Jahren, kommt es zu ca. 9.000 — 38.000 Zuschau-Sequenzen in denen Jungtiere ihren Müttern ganz genau bei Nahrungswahl, Werkzeuggebrauch und Nestbau zuschauen (4). Weibliche Jungtiere orientieren sich bei der Nahrungswahl vor allem an ihren Müttern oder anderen Weibchen. Männliche Jungtiere wählen, wenn sie älter werden, zunehmend fremde ausgewachsene Männchen als Vorbilder (5). In unseren Auffangstationen übernehmen die speziell dafür ausgebildeten Pfleger:innen diese langjährige, komplexe Aufgabe, um die Orang-Utan-Waisenkinder bestmöglich auf ein Leben in freier Wildbahn vorzubereiten. Eine Studie, die in unserem Rettungszentrum Nyaru Menteng durchgeführt wurde (6), hat gezeigt, dass die Waldschüler insgesamt mit über 100 verschiedenen Nahrungsmitteln konfrontiert werden. Über 80 davon kommen natürlich im Wald vor.
Eine ausgewogene Ernährung schützt das Immunsystem
Orang-Utans säugen ihr Junges bis zu neun Jahre lang – länger als alle Affen der Welt (7). Dies ist vermutlich eine natürliche Anpassung an Zeiten, in denen Nahrung knapp ist. Orang-Utans leben in Wäldern, die durch Dürreperioden gekennzeichnet sind und in denen Früchte nur zu bestimmten Zeiten reif werden. Um das benötigte Kalorien- und Nährstoffpensum des Jungtiers auszugleichen, säugt die Mutter das Junge daher zusätzlich über viele Jahre hinweg. Im ersten Lebensjahr besteht die Nahrung ausschließlich aus Milch, dann kommen nach und nach andere Nahrungsmittel hinzu. Auch unsere Waisenkinder bekommen, abhängig von ihrem Alter, Milchersatz von den Pfleger:innen angeboten. Junge Orang-Utans unter einem Jahr werden mit einem, auf die individuellen Ernährungsbedürfnisse angepassten, Vollmilchersatz aus der Flasche gefüttert. Diese Milch ist für menschliche Säuglinge gemacht und enthält Molkenprotein, Laktose, Soja, Mineralstoffe, Spurenelemente, Antioxidantien, Vitamine und Probiotika. Ältere Orang-Utans, die schon gezahnt haben und feste, pflanzliche Kost zu sich nehmen können, bekommen lokal hergestellte Sojamilch als Ergänzung. Sojaeiweiß hat eine hohe biologische Wertigkeit und ist daher eine wertvolle Proteinquelle.
Das Junge wird bis zu neun Jahre lang gesäugt
Früchte. Das Jungtier muss lernen, welche Früchte essbar sind, wo und zu welcher Jahreszeit man sie findet und wie man sie frisst. Ganze, weiche Früchte wie wilde Feigen und Guaven zu essen ist einfach. Unsere fortgeschrittenen Waldschüler müssen lernen, wie sie Früchte mit harter Schale, wie zum Beispiel Durian Früchte, bearbeiten müssen. In der Waldschule lernen sie Techniken, auch hartschalige Früchte zu knacken, zu schälen und aufzubrechen, um an das Fruchtfleisch und die Samen heranzukommen. Im Regenwald befinden sich die Früchte oft in zehn bis 15 Metern Höhe. Daher werden die Tiere von den Babysitterinnen immer wieder ermuntert, sich die Nahrung selbst vom Baum zu holen. Dazu werden Äste mit Früchten bespickt und diese auf höher im Baum gelegenen Nahrungsplattformen verteilt oder auf Obst-Spieße verteilt, die in die Höhe gehalten werden. Oder sie werden zu Früchte tragenden Bäumen im Wald geführt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Kletterfähigkeiten zu verfeinern und diese selbst zu pflücken.
Baumkambium. Das Baumkambium, eine saftige Schicht unter der Rinde eines Baumes, ist während der Trockenzeit eine wichtige Nahrungsquelle für Orang-Utans. Ihre Zähne sind kräftig und gut geeignet, die Rinde von bestimmten Bäumen aufzubrechen und das Kambium herauszuschälen. In der Waldschule zeigen unsere Pfleger:innen den Orang-Utans, wie sie an das Kambium herankommen.
Insekten. Orang-Utans fressen Insekten. Auf dem Speiseplan stehen zum Beispiel Termiten, Ameisen, Bienen, Gallwespen, Grillen, Raupen und Heimchen. Je nach Beobachtungsgebiet sind sie etwa vier bis 14 Prozent der Zeit, die sie mit Fressen verbringen, damit beschäftigt, die proteinreichen Krabbeltierchen aus dem Holz zu schälen oder zu angeln (8, 9). Dabei verbringen die Männchen mehr Zeit damit, bodenbewohnende Termiten zu fressen, als Weibchen oder junge Orang-Utans, die kaum Zeit in Bodennähe verbringen (8). In der Waldschule wird den Waisen zum Beispiel gezeigt, wie man verrottende Holzstücke ablöst, um an die darin lebenden proteinreichen Leckerbissen zu gelangen.
Wasser. Wasser nehmen Orang-Utans aus Blatt- und Blütenkelchen oder Baumlöchern zu sich. Sie tauchen dazu ihre Hand in das Loch und saugen dann das Wasser auf, das von den behaarten Armen tropft. Auch das muss gelernt sein!
Pflanzenmark. Das Abschälen des schützenden Äußeren einer Pflanze legt ihr weiches, inneres Mark frei. Das Mark vieler Pflanzenarten ist eine wichtige, immer verfügbare Nahrungsquelle für Orang-Utans.
Blätter. Eine Analyse hat ergeben, dass Orang-Utans in freier Wildbahn bevorzugt proteinreiche, junge Blätter fressen (10). In der Waldschule lernen die jungen Orang-Utans von den Babysitterinnen, welche Blätter und Pflanzenteile essbar sind und wo sie zu finden sind.
Nach der Waldschule ab auf die Insel! Nachdem die Waldschüler das mehrjährige Training absolviert haben, verbringen sie circa ein bis drei Jahre auf einer der Vorauswilderungsinseln. Diese Zeitspanne ist nötig, um ihr Verhalten zu analysieren und ihre erlernten Fähigkeiten zu überprüfen, ehe sie in den Regenwald zurückgebracht werden können. Im Durchschnitt dauert der gesamte Rehabilitationsprozess, vom Ankommen in der Station bis zur Auswilderung etwa zehn Jahre.
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Regenwaldflächen zu erwerben und zu Schutzwald für unsere Orang-Utans umzuwandeln. Helfen auch Sie, diesen faszinierenden Lebensraum und seine gewaltige Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Jeder Beitrag hilft.
Ein Beitrag von Dr. Isabelle Laumer
Referenzen:
1. Anne E. Russon, Serge A. Wich, Marc Ancrenaz, Tomoko Kanamori, Cheryl D. Knott, Noko Kuze, Helen C. Morrogh-Bernard, Peter Pratje, Hatta Ramlee, Peter Rodman, Azrie Sawang, Kade Sidiyasa, Ian Singleton and Carel P. van Schaik (2009). Geographic variation in orangutan diets. In book: Orangutans: Geographic Variation in Behavioral Ecology and Conservation (pp.135–156) Publisher: Oxford University Press.
2. Sugardjito, J., Nurhuda, N. Meat-eating behaviour in wild orang utans, Pongo pygmaeus . Primates 22, 414–416 (1981).
3. Schuppli C, Forss SI, Meulman EJ, Zweifel N, Lee KC, Rukmana E, Vogel ER, van Noordwijk MA, van Schaik CP. Development of foraging skills in two orangutan populations: needing to learn or needing to grow? Front Zool. (2016) Sep 29;13:43.
4. Schuppli, C and van Schaik, C (2019). Social learning among wild orangutans: is it affective? In Clément, F and Dukes, D (eds), Foundations of Affective Social Learning: Conceptualising the Transmission of Social Value. Cambridge: Cambridge University Press.
5. Ehmann B, van Schaik CP, Ashbury AM, Mo¨rchen J, Musdarlia H, Utami Atmoko S, et al. (2021) Immature wild orangutans acquire relevant ecological knowledge through sex-specific attentional biases during social learning. PLoS Biol 19(5): e3001173.
6. Adams, L. Social learning opportunities in orangutans. Unpubl. Master’s Thesis, York Univ. Toronto. (2005).
7. Smith T.M., Austin C., Hinde K., Vogel E., Arora M. (2017) Cyclical nursing pattern in wild orangutans. Science Advances, 3: e1601517.
8. Galdikas, B. M. F. 1988. Orangutan diet, range and activity at Tanjung Putting, Central Borneo. International Journal of Primatology 9:1–35.
9. Rijksen, H.D. 1978. A field Study of Sumatran Orangutan (Pongo pygmaeus abelii Lesson 1827): Ecology, Behavior, and Conservation. Netherlands: Veenan and Zonen.
Die zierliche Indah und der stattliche Azy sind die Stars des „Think Tank“, der Sprachschule für Orang-Utans im Zoo von Washington. Menschenaffen können zwar aufgrund ihrer Anatomie nicht wirklich sprechen, aber immer mehr Forscher wollen trotzdem mit den Tieren kommunizieren, um deren komplexe Denkstrukturen zu verstehen.
Gemächlich klettert Inung, unser Orang-Utan-Weibchen, das vor acht Jahren im Bukit Batikap Regenwald ausgewildert wurde, mit ihrem neugeborenen Baby Indie durch das dichte Blätterdach – stets darauf bedacht, stabile Äste beim Klettern auszuwählen. Sie ist auf der Suche nach einem geeigneten Schafplatz, denn der Tag neigt sich bald dem Ende zu. Es war ein entspannter Tag, an dem sie mit ihrer Kleinen viele wohlschmeckende Früchte gefunden hat. Doch bevor sie und Indie sich zum Schlafen legen können, muss Inung erst ein Nest hoch oben in den Bäumen bauen.
Glücklicherweise wird sie schnell fündig und beginnt mit der komplizierten Konstruktion. Der Regenwald ist erfüllt von abendlichen Klängen, als aus der Ferne, ein sogenannter ‘Long Call‘ erklingt. Inung erkennt an der individuellen Struktur dieses komplexen Rufes, dass dieser von Indies Vater stammt. Entspannt baut sie weiter, um sich dann zusammen mit Indie zum Schlafen hinzulegen. Was dieser Ruf bedeutet, und welche Informationen Inung dadurch übermittelt werden, erläutern wir später. Nun widmen wir uns erstmal dem Schlaf von Orang-Utans.
Dr. Isabelle Laumer ist Primatologin und forscht über Orang-Utans
Was passiert im Schlaf?
Wenn wir schlafen, sinken Puls, Atemfrequenz und Blutdruck ab, die Gehirnaktivität verändert sich und wir driften in verschiedene Stadien der NREM Schlafphase (non-rapid eye movement ‘Schlaf ohne rasche Augenbewegung‘ e.g. 1). Schlaf beim Menschen, Orang-Utans und anderen Säugetieren ist durch zyklische Phasen von NREM und REM Schlaf (rapid eye movement) gekennzeichnet. Im REM-Schlaf steigen Gehirnaktivität, Puls- und Atemfrequenz wieder an, begleitet von einem verringerten Tonus der Skelettmuskulatur. Bewegungen, die man im Traum durchlebt, werden so im Schlaf nicht ausgeführt (was bei Schlaf in einem Baumnest fatal wäre). Während Menschen im Durchschnitt sieben bis acht Stunden Schlaf benötigen, so ist die Schlafenszeit bei Säugetieren stark artspezifisch und reicht von rund zwei Stunden bei Elefanten (2) zu bis zu 20 Stunden bei manchen Fledermausarten (3). Orang-Utans schlafen ähnlich lange wie der Mensch – etwa neun Stunden (4). Die Frage, ob Orang-Utans und andere Tiere träumen und ob sie sich dessen bewusst sind, kann bisher zumindest von rein wissenschaftlicher Seite nicht beantwortet werden. Allerdings sprechen die ähnlichen Schlafphasen und andere Indizien dafür, dass zumindest Säugetiere wie Orang-Utans, ähnlich wie wir Menschen, Tageserlebnisse im Traum rekapitulieren (e.g. 5, 6).
Schlafnester bei Menschenaffen.
Alle vier Menschenaffen, Orang-Utans, Schimpansen, Bonobos und Gorillas, schlafen in selbstgebauten Schlafnestern. Die Nester werden selten wiederholt genutzt und jeden Tag an einer neuen Stelle neu gebaut. Manchmal wird auch tagsüber ein Nest konstruiert, um etwa nach der Nahrungsaufnahme zu ruhen. Gorillas fallen etwas aus der Reihe, da sie ihre Nester, im Gegensatz zu den anderen Menschenaffen, meist auf dem Boden errichten. Man geht davon aus, dass Menschenaffen Schlafnester bereits im Miozän, etwa vor 18–14 Millionen von Jahren (das ist der Zeitpunkt als Menschenaffen entwicklungsgeschichtlich entstanden sind), gebaut haben, als evolutionäre Anpassung an ihre zunehmende Körpergröße und Schlafbedürfnisse. Interessanterweise ist das Nestbauen nicht angeboren. Menschenaffenkinder müssen es erlernen (7).
Lernen ein stabiles, mehrschichtiges Schlafnest zu bauen – ein jahrelanges Unterfangen.
Schlafnester sind in mehreren Schichten aufgebaut
Junge Orang-Utans müssen von ihrer Mutter lernen, wie man ein stabiles Schlafnest hoch oben in den Baumwipfeln baut. Diese komplexen, ovalen Gebilde bestehen oft aus bis zu sieben Schichten und können sogar ein 90kg schweres Männchen sicher tragen. Zuallererst werden an einer geeigneten Stelle im Baum – oft dort, wo sich eine Astgabel befindet – mehrere große Äste zur geplanten Mitte des Nestes umgebogen. Diese bilden die Plattform, auf der das eigentliche Schlafnest entsteht. Dabei muss vorsichtig gearbeitet werden, damit die Äste beim Biegen nicht auseinanderbrechen und die Holzfasern immer noch miteinander verbunden sind. Nun werden mittelgroße und kleinere Äste zur Mitte hingebogen und mit dem Untergrund verwebt, so dass ein Lattenrost-ähnliches Gebilde entsteht. Im Verlauf von etwa einer halben Stunde werden weitere kurze Äste und Blätter von den umliegenden Ästen gepflückt und geschickt mit dem Untergrund zu einer Matratze verwebt. Je nach Bedarf, werden sogar Kopfkissen und Decke aus Pflanzenmaterial hergestellt. Zum Schluss wird manchmal auch noch ein Dach aus großen Blättern über dem Nest konstruiert – wer möchte schon im Schlaf nass geregnet werden?
Welche Höhe und welche Baumarten werden bevorzugt?
Große erwachsene Männchen bauen ihre Nester meist tiefer auf einer Höhe von etwa fünf bis neun Metern. Die leichter gewichtigen Weibchen und kleineren Männchen ohne sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Wangenwülste und Kehlsäcke (die bilden sich meist erst später aus), schlafen weiter oben im Baum, in einer Höhe von durchschnittlich 10–14 Metern (8). Tag-Nester werden meist in größerer Höhe, zwischen 10 bis 24 Metern, errichtet.
Doch nicht nur eine bestimmte Höhe wird bevorzugt. Man hat herausgefunden, dass besonders Orang-Utan-Mütter Wert auf einen von dichten Blättern geschützten Platz im Baum legen (9). Vermutlich um ihren Nachwuchs vor potentiellen Gefahren, wie Wilderern oder den selten gewordenen Sunda-Nebelpardern zu schützen. Je nach Gebiet und Beschaffenheit des Regenwaldes, bevorzugen Orang-Utans bestimmte Bäume als Schlaforte. In Zentralkalimantan nisten Orang-Utans am häufigsten in Bäumen der Familien Elaeocarpaceae, Euphorbiaceae und Anacardiaceae (8). Das Holz dieser Bäume ist sehr stabil, und die Zweige weisen eine hohe Flexibilität auf. Interessanterweise scheinen manche dieser Baumarten sogar pflanzliche Inhaltstoffe aufzuweisen, die Insekten wie Moskitos abhalten.
Und nun enträtseln wir die Botschaft des ‘Long Calls‘, die Inung von dem Männchen vernommen hat. Neueste Studien haben ergeben, dass dieser komplexe mehrteilige Ruf, der bis zu 1500 Meter weit hörbar ist und in eine bestimmte Richtung geäußert wird, den Weibchen in der Umgebung mitteilt, wohin es am nächsten Morgen geht. Das Revier eines Männchens überschneidet sich oft mit dem von mehreren Weibchen. Wenn das Männchen weiterzieht, folgen ihm die Weibchen. Somit planen männliche Orang-Utans schon einen Tag im Voraus, in welche Richtung es am nächsten Tag gehen soll (10, 11).
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Regenwaldflächen zu erwerben und zu Schutzwald für unsere Orang-Utans umzuwandeln. Helfen auch Sie diesen faszinierenden Lebensraum und seine gewaltige Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Werden auch Sie zum BOS-Unterstützer. Mit ihrer Spende helfen sie den Orang-Utans und dem Regenwald! Jeder Beitrag hilft.
Text:
Dr. Isabelle Laumer
Referenzen:
1. Rasch B, and Born J. (2013) About sleep’s role in memory. Physiological Reviews 93(2):681–766.
2. Gravett N, Bhagwandin A, Sutcliffe R, Landen K, Chase MJ, Lyamin OI, Siegel JM, and Manger PR (2017). Inactivity/sleep in two wild free-roaming African elephant matriarchs — Does large body size make elephants the shortest mammalian sleepers? PLOS ONE 12:e0171903.
3. Zepelin H, Rchtschaffen A (1974). Mammalian Sleep, Longevity, and Energy Metabolism. Brain Behavior and Evolution 10:425–470.
5. PR Manager, JM Siegel (2020) Do all mammals dream? The Journal of Comparative Neurology Research in Systems Neuroscience. DOI 10.1002/cne.24860.
6. HF Olafsdottir, C Barry , AB Saleem, D Hassabism, H J Spiers (2015) Hippocampal place cells construct reward related sequences through unexplored space. eLife; 4:e06063.
7. Videan EN. 2006. Bed-building in captive chimpanzees (Pan troglodytes): the importance of early rearing. American Journal of Primatology 68(7):745–751.
8. Didik Prasetyo, Sri Suci Utami, Jatna Suprijatna (2012) Nest structures in Bornean orangutans. Journal Biologi Indonesia 8 (2): 217–227.
9. Arora, N., Van Noordwijk, M.A., Ackermann, C., Willems, E.P., Nater, A., Greminger, M., Nietlisbach, P., Dunkel, L.P., Atmoko, S.U., Pamungkas, J., Perwitasari-Farajallah, D., (2012) Parentage-based pedigree reconstruction reveals female matrilineal clusters and male-biased dispersal in nongregarious Asian great apes, the Bornean orangutans (Pongo pygmaeus). Mol. Ecol. 21 (13), 3352–3362.
10. van Schaik CP, Damerius L, Isler K (2013) Wild Orangutan Males Plan and Communicate Their Travel Direction One Day in Advance. PLoS ONE 8(9): e74896.
11. Askew J, A, Morrogh-Bernard H, C (2016) Acoustic Characteristics of Long Calls Produced by Male Orang-Utans (Pongo pygmaeus wurmbii): Advertising Individual Identity, Context, and Travel Direction. Folia Primatol; 87:305–319.
12. F Fauzi, Suemarno, A Afandhi, AS Leksono (2020) Nesting behavior of Bornean immature orangutan (Pongo pygmaeus wurmbii) in Nyaru Menteng Arboretum School, Palangka Raya, Central Kalimantan, Indonesia; Biodiversitas: Volume 21, 5, 2172–2179.
„Alternative Fakten“ haben Konjunktur. Die Wahrheit kommt dabei unter die Räder. Harald Lesch und Dirk Steffens verfolgen Verschwörungsideologien und entdecken immer die gleichen Muster. Verschwörungsideologien verbreiten sich heute mit Lichtgeschwindigkeit um die Welt. Dabei gewinnen die großen Fragen an Bedeutung: Woran glauben wir? Was können wir wissen — und wem vertrauen? Doch Verschwörungsmythen wurden früher auch schon gezielt in die Welt gesetzt.
Nie zuvor haben Menschen über so viel Wissen verfügt wie heute — und dieses Wissen gerät immer häufiger in Verruf. Während die Welt die größte Krise der vergangenen Jahrzehnte erlebt, verfallen immer mehr Menschen dem Irrglauben von Verschwörungsideologien. Sie halten das neue Coronavirus für eine Biowaffe oder alternativ für eine gigantische Lüge der Regierungen. Kondensstreifen sind mit böser Absicht von „Mächtigen“ ausgebrachte Chemtrails. Der Klimawandel ist ein interessengeleiteter Mythos. Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Ins Kreuzfeuer gerät dabei ausgerechnet eine Säule der Gesellschaft, die seriös und mit objektiven Methoden ermittelte Fakten liefert: die Wissenschaft. Grund genug für Astrophysiker Harald Lesch und Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens zu erforschen, welches der Nährboden für Verschwörungsmythen ist und wie diese sich entlarven lassen. Dabei ist es nicht immer einfach, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden. Die beiden beginnen bei einer abstrus klingenden, wenngleich harmlosen Idee: Sogenannte Flacherdler behaupten, die Erde sei eine Scheibe und würde flach wie eine Flunder durchs Weltall schweben. Am Ratzeburger See zeigen Lesch und Steffens in einem Experiment — das jeder Skeptiker selbst durchführen könnte, wenn er wollte -, dass diese Vorstellung mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Doch für Verschwörungsgläubige ist die Faktenlage nebensächlich. Im Gespräch mit Giulia Silberberger, die seit Jahren Aufklärungsarbeit über Verschwörungsideologien leistet, erfährt Harald Lesch, welchen Sog solche Glaubensgemeinschaften ausüben können und wer letztlich vom Irrglauben der Anhänger profitiert. Dirk Steffens will selbst erfahren, ob man am Himmel giftige Wolken, Chemtrails, erzeugen kann. Mit einem erfahrenen Piloten steigt er zu einer abenteuerlichen Aktion auf — und spürt: Diese Fliegerei kann tatsächlich krank machen. Doch das liegt eher an den halsbrecherischen Loopings, die der Pilot fliegt. Für die mysteriösen streifenartigen Wolken am Himmel gibt es eine ganz simple wissenschaftliche Erklärung. Doch Chemtrail-Gläubige kann diese nicht überzeugen. Mit einem Streifzug durch die Geschichte zeigen Harald Lesch und Dirk Steffens, dass Verschwörungsideologien eine lange Tradition haben. Manchmal ist ihr Ursprung ein besonders ausgeprägtes Machtinteresse. So wurden etwa die Tempelritter zu Opfern einer Verschwörung, weil sie ein willkommenes Feindbild abgaben und die verbreitete Theorie glaubhaft schien: Man hatte schließlich schon immer vermutet, dass sie insgeheim Böses im Schilde führten. Spezifische Interessen befeuern auch die Zweifler an der Klimaveränderung durch menschengemachte Treibhausgase. So erkunden Harald Lesch und Dirk Steffens, wie die Öl-Lobby bereits vor Jahrzehnten aus dem Klimawandel ein Schauermärchen machte, das noch heute seine Wirkung zeigt. Beim Erkunden der Mechanismen hinter Verschwörungsideologien offenbaren sich Gemeinsamkeiten, die zeigen, wieso zu allen Zeiten immer wieder Menschen dem „Virus“ von Verschwörungsideologien verfallen. Selbst das Aufdecken der Wahrheit, selbst wissenschaftliche Belege sind kein Garant dafür, dass Lügen und längst widerlegte Theorien verschwinden. Auf einer aufregenden Reise durch die Welt der Verschwörungsideologien begegnen Lesch und Steffens Geschichten von „Flacherdlern“, Chemtrailern und Klimaleugnern. Sie tauchen ein in die Welt der Tempelritter, erkunden geheime Machenschaften der CIA und gehen der Frage nach, was die Pest mit Verschwörungsglauben zu tun hat. Die beiden erleben, wie Verschwörungstheorien die Gesellschaft spalten und einen gesellschaftlichen Konsens schwieriger machen. Doch für Lesch und Steffens ist klar: Aufgeben ist keine Option. Denn es gibt etwas, das sich immer lohnt: das Streiten für die Wahrheit.
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