Manche Orang-Utans verschwinden nach ihrer Auswilderung so tief im Dickicht des Regenwaldes, dass es selbst unseren erfahrenen Mitarbeitern in den Post-Release-Monitoring-Teams schwerfällt, sie zu entdecken. Umso größer ist die Freude, wenn es dann doch mal gelingt. So ging es uns auch mit dem Mutter-Sohn-Gespann Signe und Bungaran, die seit Dezember 2016 im Schutzwald von Kehje Sewen (Ost-Kalimantan) unterwegs sind.
Etwa zwei Kilometer vom Nles Mamse Camp stieß unser Team auf die elfjährige Signe und ihren inzwischen drei Jahre alten Sohn Bungaran. In stiller Eintracht saßen die beiden im Baum, genossen einen Snack aus schmackhafter Rinde und ließen sich von unserer Gegenwart kein bisschen beeindrucken.
Bungaran, der immer mehr an Selbständigkeit zu gewinnen scheint, bewegte sich immer wieder einige Meter von seiner Mutter weg in den Bäumen. Signe ließ ihn dabei natürlich keine Sekunde aus den Augen. Er suchte in der Nähe nach neuen Pflanzen und Früchte, kehrte aber immer wieder zu Signe zurück, um kurz zu kuscheln. Dieses Verhalten ist ganz typisch für Orang-Utans in Bungarans Alter – die jungen Menschenaffen trennen sich erst nach sieben oder acht (Lehr-)Jahren von ihrer Mutter.
Was danach geschah, werden unsere Teammitglieder so schnell nicht vergessen. Bungaran kam und zupfte an Signes Ohr, die allerdings gerade die Früchte eines Brotfruchtbaumes naschte. Vielleicht wollte er, dass sie mit ihm spielt. Doch Signe war nicht danach und das ließ sie ihn in Form eines kleinen aber deutlichen Schubsers spüren. Bungaran verstand sofort, wandte sich ab und ging seiner Wege.
Dann wurden wir Zeugen, wie Diplomatie bei Orang-Utans funktioniert: Bungaran wusste nämlich, wie er seine Mutter besänftigen konnte und kehrte kurze Zeit später mit einer Frucht des Brotfruchtbaumes zurück, die er ihr wie ein Friedensangebot überreichte. Signe nahm das Geschenk gerne an und die beiden umarmten sich innig.
Eine kleine, unscheinbare Geste, die uns auf bemerkenswerte Weise zeigt, wie wilde Orang-Utans im Regenwald miteinander kommunizieren. Trotz Unstimmigkeiten scheinen sie zu wissen, dass der Schlüssel zum sicheren Überleben darin besteht, in Harmonie zusammen zu leben. Vielleicht sollten wir Menschen doch noch ein oder zwei Dinge von den Orang-Utans lernen.
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Es ist kompliziert, langwierig, verwirrend und noch immer nicht endgültig entschieden: Die Frage, ob und – falls ja – wie lange noch, Palmöl in europäischen Biodiesel beigemischt werden darf.
Nun hat die EU-Kommission festgestellt, dass der Anbau von Ölpalmen eine bedeutende Abholzung von Regenwald verursacht und damit der aus Palmöl gewonnene Biodiesel nicht zur Erreichung der EU-Zielvorgaben für umweltfreundliche Brennstoffe gezählt werden kann. Unter dem steigenden Druck der Regierungen Malaysias und Indonesiens (einschließlich der Drohung mit einem Handelskrieg) hat die Kommission jedoch mehrere Schlupflöcher eingebaut. So sollen für Palmöl, das von unabhängigen kleinen Plantagen (weniger als fünf Hektar) oder auf „ungenutzten“ Flächen angebaut wird, Ausnahmen gelten.
Abschließend ist aber auch diese Entscheidung der EU-Kommission noch nicht. Bisher verlief der Palmöl-Ritt durch die europäischen Instanzen wie folgt: Im Juni 2018 entschied das EU-Parlament, dass Palmöl und Soja ab 2030 nicht mehr in Biosprit eingesetzt werden dürfen. Diese Entscheidung wurde nicht kritiklos angenommen. Denn so gut das angestrebte Verbot von Palmöl in Biodiesel ist, so lange dauert es noch bis 2030 – denn wenn die Umwandlung von Regenwäldern in Plantagen im bisherigen Tempo fortschreitet, ist es bis 2030 zu spät für die Regenwälder Indonesiens und Malaysias und für die Orang-Utans.
Nun sollte also die EU-Kommission definieren, welche Rohstoffe ein hohes Risiko einer sogenannten indirekten Landnutzungsänderung (indirect Land Use Change, kurz iLUC) beinhalten und somit nicht mehr in Biodiesel enthalten sein dürfen – oder sehr verkürzt: ob und wie Palmöl und andere Lebensmittel ab 2023 bis 2030 in Kraftstoffen verwendet werden dürfen.
Die Entscheidung
Am 8. Februar wurde diese langerwartete Entscheidung endlich getroffen: Palmöl gehört nun zu den Rohstoffen, die die EU-Kommission als hochemittierend einstuft. D.h. es besteht ein hohes Risiko einer indirekten Landnutzung. Und außerdem muss Palmöl bis 2030 stufenweise aus europäischem Biodiesel verschwinden. Der Hauptgrund für diese Entscheidung waren wissenschaftliche Studien, die nachweisen, dass 45 Prozent der Palmölplantagen von 2008 bis 2015 in Gebieten errichtet wurden, die als große natürliche CO2 Speicher dienten.
Große Schlupflöcher und Bauernopfer
So gut all das vielleicht klingen mag, unterm Strich hat der Beschluss riesige Schlupflöcher für die Palmölindustrie geschaffen. Denn Palmöl, das auf Kleinplantagen angebaut oder auf „ungenutzten“ Flächen produziert wird, darf weiter für die Beimischung in europäischem Kraftstoff genutzt werden. Leider zeigen allerdings Beispiele von großen Konzernen, wie dem Palmölriesen FELDA, dass diese oft ihr Palmöl von Kleinbauern beziehen. Dabei spielen Nachhaltigkeitskriterien keine Rolle, der Kleinbauer trägt oft ein noch höheres wirtschaftliches Risiko, als die Angestellten auf einer Plantage und außerdem werden Flächen, die sonst für den Anbau von Nahrung genutzt werden würden, in Ölplantagen umgenutzt. Ein echtes Bauernopfer also. Und Palmöl bleibt so weiterhin Bestandteil des europäischen Biosprits.
Die EU-Kommission hat eine öffentliche Anhörung bis 8.März angekündigt, bevor sie den endgültigen Rechtsakt annimmt. Das EU-Parlament und die EU-Mitgliedsstaaten haben dann zwei Monate Zeit, ihr Veto einzureichen. Ergänzungen und Änderungen am Rechtsakt können nicht mehr gemacht werden.
In der Wildnis aufzuwachsen ist nicht immer einfach. Doch zum Glück haben im Regenwald geborene Orang-Utans liebevolle Mütter an ihrer Seite, die ihnen zeigen, wie sie im Dschungel zurechtkommen. Darum haben Orang-Utans die längsten Geburtsintervalle (Abstand zwischen zwei Geburten), länger ist als bei allen anderen Säugetieren einschließlich dem Menschen.
Die jungen Waldmenschen bleiben in der Regel als Einzelkinder bis zu ihrem siebten oder achten Lebensjahr bei ihren Müttern. In dieser Zeit lernen sie alles, was man als wilder Orang-Utan können muss: Wie man klettert, wo man wann welche Nahrung im Regenwald findet, wie man stabile Nester baut, welche Gefahren lauern, was gegen Krankheiten helfen kann und wie man mit anderen Orang-Utans umgeht. All das lernen sie von der besten Ausbilderin, die es dafür geben kann: der eigenen Mutter.
Nur Cindy, eine 24-jährige Orang-Utan-Dame hält sich nicht an die Regel, nur alle acht Jahre ein Baby zu bekommen. Am 22. Januar 2007 wurde ihr Sohn Cilik auf der Vorauswilderungsinsel Kaja Island (Zentral-Kalimantan) geboren. Nicht einmal sechs Jahre später, am 12. November 2012, brachte Cindy schon Tochter Riwut zur Welt. Im November 2013 wurde die ganze Familie dann im Bukit Batikap Schutzwald ausgewildert. Riwut wuchs dort weiter in der Obhut ihrer Mutter und Lehrmeisterin auf, während ihr großer Bruder Cilik schon früh selbständig wurde und nur ab und zu vorbeikam, um seine Mutter und seine kleine Schwester zu besuchen.
Im Juni 2018 traf eines unserer Post-Release-Monitoring-Teams auf Cindy und Riwut, die unterwegs auf Futtersuche waren. Doch Cindy schien nicht ganz bei der Sache. Sie hatte einen jungen, attraktiven Mann entdeckt. Es war Olbert. Der starke und gutaussehende Orang-Utan, der noch immer Narben von seinem Kampf mit einem Nebelparder von vor einem Jahr trug, hatte Cindys ganze Aufmerksamkeit gewonnen.
Und im September entdeckten wir erste Anzeichen einer erneuten Schwangerschaft Cindys. Dabei benötigt die gerade mal sechs Jahre alte Riwut immer noch viel Fürsorge ihrer Mutter. Ein neues Geschwisterchen würde sie nicht gutheißen.
Denn wenn Orang-Utan-Mütter Nachwuchs erwarten, verdrängen sie instinktiv das größere Kind. Das konnte unser Post-Monitoring-Team auch bei Cindy und Riwut feststellen. Cindy hält inzwischen immer mehr Abstand zu ihrer Tochter. Auch wenn die kleine Riwut vielleicht noch nicht ganz bereit ist, sich von ihrer Mutter zu verabschieden, hat sie inzwischen schon genug Wissen von der erfahrenen Cindy vermittelt bekommen, um allein im Dschungel zu leben.
Obwohl Riwut noch oft anhänglich ist und die Nähe ihrer Mutter sucht, sobald sie sich erschreckt, so weiß sie doch schon, wie man an das leckere Mark bestimmter Bäume kommt, wie sie auch die härtesten Schale mancher Früchte knacken kann und wo sie nahrhafte Termiten findet. Cindy hat Riwut sehr gut großgezogen. Das macht Cindy nicht nur zu einer großartigen Mutter, sondern auch zu einer hervorragende Naturschützerin. Denn während wir nun geduldig auf die Geburt von Cindys drittem Baby warten, können wir nicht anders, als zu denken, dass Cindy es sich wohl zur Aufgabe gemacht hat, im Alleingang die vom Aussterben bedrohten Borneo-Orang-Utans zu retten!
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Von einem außergewöhnlichen, schon einige Wochen zurückliegenden Erlebnis mit Compost, die im Dezember ihr Baby zur Welt brachte, berichteten uns jetzt Post-Monitoring-Mitarbeiter des Totat Jalu Camp.
Bei ihren Streifzügen durch den Schutzwald von Bukit Batikap trafen sie auf die beiden ausgewilderten Orang-Utan-Damen Sifa (8) und Compost (17). Compost war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger und meist langsam aber stetig im Regenwald unterwegs auf der Suche nach ihren Lieblingsfrüchten. Sifa folgte ihr in einigem Abstand und schloss immer dann zu Compost auf, wenn die werdende Mutter saftige Waldfrüchte oder frische Baum-Triebe gefunden hatte. Am Nachmittag ruhten sie einträchtig auf einem großen Baum und genossen einen kurzen Moment die stille Zeit zu zweit.
Doch schon nach zehn Minuten reichte es Compost. Auf einem Feigenbaum gönnte sie sich einen letzten Snack und baute sogleich ihr Schlafnest für die Nacht. Schon um 16 Uhr – eine sehr ungewöhnliche Uhrzeit für Compost. Normalerweise machte sie sich erst zwischen 17 und 18 Uhr an den Nestbau. Unsere Mitarbeiter erklärten sich dieses Verhalten allerdings mit Composts fortgeschrittener Schwangerschaft und machten sich keine weiteren Gedanken. Sifa war einige Bäume entfernt am Futtern.
In fünf Minuten hatte Compost ihr Nest vollendet. Was dann geschah, überraschte uns alle.
Zunächst stieg Compost in ihr Nest und beobachtete Sifa von dort aus. Dann plötzlich, wie aus dem Nichts, kletterte Compost flink den Baum herab und lief davon. Ein Mitglied unseres Beobachtungsteams machte sich in sicherer Entfernung an die Verfolgung. Doch als Compost ohne auch nur einmal anzuhalten schon gut 150 Meter von Sifa entfernt war, kehrte unser BOS-Teammitglied um.
Als Sifa entdeckte, dass Composts Nest leer war, war sie sehr verwirrt. Sie suchte und rief nach Compost und kletterte die höchsten Bäume hinauf, um sie zu finden. Doch vergebens. Compost hatte sich aus dem Staub gemacht. Schließlich baute Sifa sich ein Nest und legte sich schlafen.
Wir gehen davon aus, dass Compost das Nest baute, um Sifa zu täuschen. Wir waren von diesem raffinierten und schlitzohrigen Plan schockiert, denn wir hätten das von der sonst so lieben und fürsorglichen Compost nicht erwartet. Umso faszinierter sind wir, wie clever und durchdacht sie sich einen Plan zurechtgelegt und diesen in die Tat umgesetzt hat.
Vielleicht wollte die werdende Mutter einfach noch etwas Zeit ganz für sich allein, bevor sie ihr erstes Baby zur Welt brachte.
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Nobri ist normalerweise ein echter Dschungelprofi. Auf der Suche nach Futter navigiert mit Leichtigkeit durch den Urwald. Am liebsten ist sie für sich allein, die Gegenwart anderer Orang-Utans schätzt sie nur selten. Vor allem mag es die Orang-Utan-Dame gar nicht, von Menschen beobachtet oder gar verfolgt zu werden. Denn Nobri musste noch nie hinter Gittern leben.
Als sie 2005 geboren wurde, lebte ihre Mutter Shelli auf einer der Vorauswilderungsinseln der BOS-Foundation in Zentral-Kalimantan. Im April 2016 wurde sie in die Freiheit entlassen. Somit ist die 15-jährige Nobri ein tatsächlich wilder Orang-Utan.
An dem Tag, an dem unser Monitoring-Team aus dem Totat Jalu Camp im Bukit Batikap Schutzwald Nobri beobachtete, lag das Hauptaugenmerk darauf, wie es um ihre Gesundheit stand. Denn unser Beobachtungsteam hatte entdeckt, dass die Drüsen in Nobris Achselhöhlen und ihr Kehlsack geschwollen waren.
Der Kehlsack eines Orang-Utans ist der Beutel, der direkt unter dem Kinn sitzt. Er ist wichtig, um die lauten Töne zu erzeugen, die im Wald zu hören sind. Das Anschwellen des Kehlsacks ist in der Regel eine Folge von übermäßiger Flüssigkeitsansammlung infolge einer Infektion. Also definitiv ein Grund zur Besorgnis! Obwohl Nobri nicht den Eindruck machte, unter einer Infektion zu leiden, mussten wir sie einer umfassenden gesundheitlichen Untersuchung unterziehen, um sicherzustellen, dass sie auch noch die nächsten Jahre durch den Batikap-Wald streifen kann.
Das Team kontaktierte schnell per Funk unser Rettungszentrum Nyaru Menteng, um schnell einen Tierarzt für Nobri anzufordern. Der Tierarzt Greggy Harry Poetra und einer unserer besten Schützen für Beruhigungspfeile, wurden schnell auf den Weg nach Batikap geschickt. Keine Spazierfahrt, denn Batikap liegt drei bis vier Tagesreisen von Nyaru Menteng entfernt und der Weg führt über gefährliche Straßen.
Als unsere Mitarbeiter endlich vor Ort ankamen, wurde die kränkelnde Affendame schnell sediert und in einem Transportkäfig zur weiteren Behandlung in die Nähe des Totat Jalu Camp gebracht. Alle Symptome deuteten darauf hin, dass Nobri an Luftsakulitis litt — einer bakteriellen Infektion der oberen und unteren Atemwege, einschließlich des Kehlsacks. Eine potenziell tödliche Krankheit!
Am selben Nachmittag erwachte Nobri in einem Käfig für kranke Orang-Utans. Trotz ihres Zustands machte sie deutlich, dass sie nicht glücklich war, dort zu sein. Sie brachte den ganzen Käfig ins Wanken, während sie herumschwang und machte Kussgeräusche, um ihren Unmut zu verkünden. Ihre Wildheit ist in der Tat stark ausgeprägt und würde nicht einmal durch etwas gebrochen werden, das so unangenehm war wie eine tödliche Krankheit.
Auch am darauffolgenden Tag musste Nobri sediert werden. Nur so konnte unser Tierarzt weitere Behandlungen und Untersuchungen durchführen. Trotz des Fehlens von High-Tech-Geräten mitten im tiefen Regenwald war die Erstbehandlung ein Erfolg. Zuerst war Nobri noch etwas benommen, als die Betäubung nachließ. Aber schon nach etwa einer Stunde kletterte sie bereits herum und warnte uns immer wieder durch laute Kussgeräusche. Sie benahm sich wieder wie der wildeste Orang-Utan, den wir je getroffen hatten!
Leider ist der Weg zu Nobris vollständiger Genesung lang. Sie benötigt immer noch tägliche medizinische Behandlungen. Und diese werden auch weiterhin mit lautem Protest begleitet. So kennen wir sie – unsere wilde starke Nobri.
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Der spannenden Frage, wie sich Orang-Utans nach ihrer Auswilderung in den Regenwald verhalten, geht die Anthropologin Anna Marzec in ihrer Forschungsarbeit nach. Wie auch Dr. Maria A. von Noordwijk ist Anna Marzec Teil des interdisziplinären Tuanan Orangutan Research Projects der Universität Zürich und arbeitet auch mit der BOS Foundation eng zusammen.
Marzec interessierten vor allem Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verhalten von Orang-Utans, die vor ihrer Auswilderung bereits Erfahrungen in der freien Wildbahn sammeln konnten und Tieren, die bereits als Babys ihre Rehabilitation im Rettungszentrum starteten. Und wo liegen die Unterschiede zu wilden Orang-Utans?
Durch die direkte Beobachtung von Lernverhalten und Fressverhalten versucht Marzec Antworten zu finden. Lernverhalten wird z. B. durch Objektmanipulation, Exploration (Erkundung, Erforschung der Umgebung) oder soziales Lernen in Form von Peering gemessen. Peering ist das Erlernen von Fähigkeiten durch die Beobachtung und den Austausch mit anderen Individuen.
Die Ergebnisse sind sehr eindeutig. Ausgewilderte Orang-Utans verbringen mehr Zeit mit Fressen von Früchten als wilde Orang-Utans, jedoch fressen sie in der Summe weitaus weniger als diese (Früchte sind die qualitativ hochwertigste Nahrung für Orang-Utans). Auch verbringen ausgewilderte Orang-Utans mehr Zeit mit Exploration und Peering.
Lernen nach der Auswilderung
Daraus schließt Anna Marzec, dass Orang-Utans nach der Auswilderung erst einmal weiter lernen müssen. Ihr Entwicklungsstand reicht zwar zum Überleben in der freien Wildbahn aus, ist aber noch nicht mit dem Niveau von Orang-Utans vergleichbar, die in ihrem natürlichen Lebensraum und unter Anleitung ihrer Mutter aufwachsen konnten.
Um die langfristige Entwicklung dieser Verhaltensweisen unter neuangesiedelten Orang-Utans zu untersuchen, hat sie zwei Beobachtungsgruppen (zehn Kandidaten insgesamt) bestimmt. Eine Gruppe besteht aus Orang-Utans, die im vergangenen Jahr ausgewildert wurden. Die andere Gruppe setzt sich aus ebenfalls neuangesiedelte Orang-Utans zusammen, die jedoch bereits mindestens zweieinhalb Jahre im neuen Habitat überlebt haben. Dabei konnten folgende Phänomene beobachtet werden: Die neuen Orang-Utans fressen weniger Früchte, verbringen aber mehr Zeit damit. Die Unterschiede im Peering und in der Exploration sind nicht signifikant, jedoch zeichnet sich ein ähnlicher Unterschied, wie zwischen neuangesiedelten und natürlich aufgewachsenen Orang-Utans ab.
Abschauen bei den Wilden
Je länger Orang-Utans also in ihrem neuen Habitat leben, desto mehr ähnelt ihr Verhalten dem der wilden Orang-Utans. Peering scheint für frisch ausgewilderte Orang-Utans von zentraler Bedeutung zu sein. Sie zeigen dieses Verhalten weitaus häufiger als wilde Orang-Utans. Sie suchen vermehrt bei den wilden Artgenossen nach Vorbildern, um von ihnen zu lernen. Daher scheint es von Vorteil zu sein, Orang-Utans in Habitaten anzusiedeln, in denen solche „Peers“ zu finden sind. Dadurch können dann die neuen wilden Orang-Utans Stück für Stück ihren Entwicklungsstand anpassen.
Anna Marzecs Erkenntnisse sind enorm wichtig, um den komplexen Prozess der Auswilderung bzw. Neuansiedlung von Orang-Utans in Zukunft effektiver gestalten zu können. Ihr Fazit: Neuansiedlung ist möglich. Leider muss jedoch berücksichtigt werden, dass hierbei auch eine höhere Sterblichkeit, als bei wildlebenden Orang-Utans zu verzeichnen ist. Der Königsweg ist also weiterhin ein besserer Schutz des ursprünglichen Lebensraumes der Menschenaffen. Dann wären Auswilderungen und Neuansiedlungen gar nicht erst nötig.
Gastautor: Jan Mücher
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