Genau weiß man es nicht – Wissenschaftler schätzen die Anzahl sämtlicher Tier‑, Pilz- und Pflanzenarten auf fünf bis 30 Millionen. Identifiziert sind bislang „nur“ etwa zwei Millionen Spezies. Das heißt nicht etwa, dass man alles von ihnen wüsste. Von vielen Arten ist einfach nur bekannt, dass es sie gibt. Noch jedenfalls.
Denn pro Jahr verschwinden geschätzt mehrere tausend Arten auf Nimmerwiedersehen — eine gegenwärtige Aussterberate, die möglicherweise tausend- bis zehntausendmal so groß ist wie es die natürliche Aussterberate wäre. Darunter auch Tiere und Pflanzen, von deren Existenz wir noch gar nichts erfahren haben…
Die rote Liste
Dokumentiert wird dies von der im schweizerischen Gland ansässigen International Union for Conservation of Nature – IUCN. Hinter dieser Organisation stehen Ministerien und andere Stellen verschiedener Staaten, sowie internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen. Seit 1963 ermitteln Experten auf Basis möglichst aller verfügbaren Daten alle fünf bis zehn Jahre die sogenannte Aussterbewahrscheinlichkeit verschiedenster Tier- und Pflanzenarten. Vielschichtige Nutzungsanalysen zum Beispiel aus Landwirtschaft, Fischerei und Jagd, sowie langfristige Naturbeobachtungen fließen in mathematische Modelle ein und verdichten sich schließlich zur sogenannten „Rote Liste der bedrohten Arten“ (siehe PDF am Ende des Beitrages).
Die Rote Liste definiert sieben Stadien der Bestandsentwicklung:
EX– Extinct (ausgestorben zwischen dem Jahr 1500 und der Gegenwart)
EW– Extinct in the Wild (in freier Wildbahn ausgestorben)
NT– Near Threatened (gering gefährdet, auf der Vorwarnliste)
LC– Least Concern (nicht gefährdet)
Daneben wird noch unterschieden zwischen
DD– Data Deficient (unzureichende Daten)
NE– Not Evaluated (nicht bewertet)
Zu den letzten beiden Gruppen gehört die übergroße Mehrheit aller Spezies: Bislang konnte die IUCN lediglich wenig mehr als 70.000 Arten in das Bewertungssystem aufnehmen.
Zentrale Kriterien der Einteilung sind Populationsgrößen mit der Anzahl fortpflanzungsfähiger Individuen, der Fortpflanzungsrate und der Generationenlänge sowie die jeweils aktuelle Rate des Bestandsrückgangs und dessen zeitliche Dauer in der Vergangenheit. Wichtige Merkmale sind auch starke Bestandsfluktuationen und insgesamt die geografische Verbreitung. So stellen Fragmentierung („Verinselung“) und Rückgang ursprünglich zusammenhängender Vorkommensgebiete sehr oft einen bedeutenen Faktor der Bedrohungsanalyse dar.
Letzteres gilt gerade auch für den Borneo-Orang-Utan. Zwischen 1973 und 2010 wurden 56 Prozent des Lebensraumes der Orang-Utans zerstört und 39 % sind vollständig verschwunden – ein Gebiet größer als Portugal (fast 99.000 km²). Bis 2025 werden voraussichtlich weitere 57.000 km² Wald in Plantagen umgewandelt, etwa die doppelte Fläche Belgiens. Eben diese fortdauernde Bedrohung des Lebensraumes der Orang-Utans hat die Experten dazu veranlasst, Anfang 2016 den Bedrohungsstatus von Pongo pygmaeus zu revidieren.
Hinzu kommt, dass Orang-Utans schon natürlicherweise zu den Säugetieren mit der geringsten Fortpflanzungsrate zählen. Ein Orang-Utan-Weibchen in der Wildnis bringt im Laufe von vielleicht 40 Jahren in der Regel nicht mehr als drei Junge zur Welt. Jedes einzelne von ihnen hat durch die langjährige Fürsorge der Mutter eine im Vergleich zu vielen anderen Wildtieren sehr gute Chance, seinerseits das fortpflanzungsfähige Alter zu erreichen. Die niedrige Reproduktionsrate macht jede Orang-Utan-Population aber noch zusätzlich verwundbar.
Intakte Habitate als Schlüssel zum Überleben
Wie schon vorher sein Vetter Pongo abelii auf Sumatra, gehört nunmehr auch der Borneo-Orang-Utan zu den vom Aussterben bedrohten Spezies.
Dass die Orang-Utans auf Borneo gefährdet sind, ist wahrlich nicht neu, aber critically endangered – also akut vom Aussterben bedroht – schienen sie bisher dann doch noch nicht zu sein. Laut neuen Studien jedoch werden, gerechnet ab 1950 bis zum Jahr 2025, ca. 82 Prozent der Borneo-Orang-Utans verschwunden sein.
Die alarmierende Heraufsetzung des Bedrohungsstatus begründet sich ganz wesentlich durch den rapiden Verlust an Lebensraum. Wenn immer mehr Regenwald zugunsten von Bergbau oder riesiger Plantagen vernichtet wird und die verbleibenden Waldgebiete immer mehr zerstückelt und zerteilt werden, bleibt den rothaarigen Menschenaffen keine Lebensgrundlage in freier Wildbahn.
Gegen das große Verschwinden
Dass über die Jahrmillionen Arten aussterben, ist ganz natürlich. Was wir jetzt erleben, ist allerdings ein Massenaussterben innerhalb eines erdgeschichtlich gesehen winzigen Augenblicks. Aber auch, dass ein großer Teil aller existierenden Spezies mehr oder weniger plötzlich einer globalen Katastrophe zum Opfer fällt, ist in der langen Geschichte des irdischen Lebens schon einige Male geschehen. Nur haben wir jetzt etwas völlig Neues: Verantwortung. Unsere Spezies ist nicht nur einfach ursächlich für den gegenwärtigen Floren- und Faunenschwund, sondern weiß auch um ihr eigenes Wirken. Und sie kann dieses Wirken verändern und zum Besseren wenden.
Noch leben fortpflanzungsfähige Orang-Utan-Populationen, noch ist nicht aller Wald abgeholzt. Vom Aussterben bedroht bedeutet im Umkehrschluss, dass sie eben noch nicht ausgestorben sind. BOS und seine Unterstützer weltweit können immer noch den Unterschied machen!
Unser Team aus Camp Lesik, dem nördlichsten in Kehje Sewen, machte sich erst kürzlich auf den Weg, um Elisa und Wardah zu beobachten. Die beiden Orang-Utan-Damen wurden im März dieses Jahres ausgewildert und erkunden seitdem ausgiebig den Wald von Kehje Sewen.
Das Team ortete Elisas Signal gegen 8 Uhr morgens. (Die ausgewilderten Orang-Utans bekommen einen kleinen Sender implantiert, mit dem ihre Wanderungen ein bis zwei Jahre lang nachverfolgt werden können.)
Allerdings brauchte es zwei Stunden, um Elisa schließlich lokalisieren zu können. Sie saß entspannt auf einem Ast, machte sich aber ganz schnell davon, als sie ihrerseits die Menschen bemerkte. Das Beobachtungsteam hielt Abstand, setzte seine „Verfolgung“ aber weiter fort.
Als Elisa sich wieder niederließ, tauchte plötzlich Wardah wie aus dem Nichts auf und näherte sich ihr.
Elisa führte sich durch die jüngere Wardah offenbar bedroht und warnte sie mit gesträubtem Haar und den typischen Kussgeräuschen, die bei Orang-Utans Missfallen ausdrücken. Wardah zog sich dann auch gleich wieder zurück.
Anscheinend hatte Wardah auch gar nicht die Absicht, sich mit Elisa anzufreunden, sondern war mehr an den Früchten auf Elisas Baum interessiert.
Angesichts Elisas Weigerung, zu teilen, begnügte sich Wardah dann mit einer Sprossen-Mahlzeit.
Nach einer Verdauungspause machte sich Wardah wieder auf Entdeckungstour.
Das Team konnte sie nicht weiter beobachten, da Elisa wieder ins Blickfeld geriet, die sich mit Früchten, Lianen und Sprossen beschäftigte. Die meiste Zeit verbrachte sie in den Bäumen und kam nur herunter, um Sprossen einzusammeln.
Gegen 16 Uhr begann sie mit dem Bau ihres Schlafnestes. Das Team wartete, bis sie damit fertig war, und machte sich wieder auf den Weg ins Camp.
Wir waren sehr dankbar, zu sehen wie gut sich diese beiden Weibchen in ihr neues Zuhause eingelebt hatten. Beide scheinen das Leben in Kehje Sewen zu genießen, und wir hoffen, dass das so bleibt!
Werden Sie jetzt Pateeines rotbraunen Menschenaffen und helfen Sie mit, die Orang-Utans vor dem Aussterben zu bewahren.
Die BOS Foundation siedelt weitere sechs rehabilitierte Orang-Utans aus Nyaru Menteng nach Salat Island um.
Nyaru Menteng, Zentralkalimantan, 28. Mai 2017. In Zusammenarbeit mit der regionalen Naturschutzbehörde bringt die BOS Foundation sechs weitere Orang-Utans aus Nyaru Menteng nach Salat Island. Diese Insel bietet ein überwachtes und gesichertes Areal, welches den Orang-Utans ermöglicht, unter naturnahen Bedingungen bis zu ihrer endgültigen Auswilderung zu leben.
Schritt für Schritt in die Wildnis
Junge Orang-Utan-Waisen, die in die Fürsorge von BOS kommen, müssen sich einer jahrelangen Rehabilitation unterziehen. Beginnend im „Waldkindergarten“ erlernen sie Schritt für Schritt alle notwendigen Fähigkeiten zum Überleben in der Wildnis. Wenn die jungen Tiere diese Etappe erfolgreich abgeschlossen haben, kommen sie auf eine sogenannte Vorauswilderungsinsel, wie z.B. Salat Island und vervollständigen dort ihre Überlebensfähigkeiten. Sobald sie auch diese letzte „Prüfung“ erfolgreich absolvieren konnten, können sie in die Freiheit entlassen werden.
Der Komplex von Nyaru Menteng beherbergt zur Zeit etwa 450 Orang-Utans, ist aber eigentlich für lediglich 300 Tiere ausgelegt. Um den Prozess der Auswilderung zu beschleunigen, werden allein dieses Jahr mindestens 100 rehabilitierte Orang-Utans nach Salat Island gebracht. Die Insel bietet Platz für ca. 200 der Menschenaffen.
Die Orang-Utan-Männchen Ariel, Sponge Bob und Sanamang sowie die Damen Buntok, Mawas und Leggi erfreuen sich nunmehr einer „Vor-Wildnis“. Es ist seit Ende letzten Jahres der dritte Transfer nach Salat Island. Trotz dieser Erfolge, gibt es noch sehr viele Orang-Utans, die darauf warten, auf die Vorauswilderungsinseln gebracht zu werden.
Einige unserer Anlagen sind voller Orang-Utans, die auf die Translokation warten. Die Nutzung von Salat Island bedeutet, dass mehr rehabilitierte Orang-Utans die Chance haben, diese finalen Schritte zu vollziehen. Je mehr Orang-Utans wir auf die Vorauswilderungsinseln bringen können, desto schneller können wir sie auch gänzlich auswildern.
Auf den Vorauswilderungsinseln werden sie bei ihrem Alltag im Regenwald bewacht und beobachtet. Die Orang-Utans, die sich gut an das Leben angepasst haben, werden im Anschluss in geschützte Waldgebiete ausgewildert.
Werden Sie jetzt Pateeines rotbraunen Menschenaffen und helfen Sie mit, die Orang-Utans vor dem Aussterben zu bewahren.
Neben der Behandlung physischer Probleme, spielen für eine erfolgreiche Rehabilitationund spätere Auswilderung geretteter Orang-Utans auch psychische Krankheitsfaktoren eine entscheidende Rolle. Zu Erleben, wie die Mutter getötet wurde, ein langes Alleinsein danach im Wald, die Gefangenschaft bei Menschen — all dies kann ein Trauma, also eine tiefe psychische Verletzung des Orang-Utans, ausgelöst haben. Und dies kann starke Beeinträchtigungen im Verhalten zur Folge haben.
Die Aufregung ist groß in der BOS Rettungsstation Nyaru Menteng. Gerade gab es einen Anruf der Naturschutzbehörde. Ein junger Orang-Utan wird in einem Dorf im Käfig gehalten. Die Polizei ist auch schon vor Ort. Eine Situation, wie sie die Mitarbeiter von BOS schon hundertfach erlebt haben. Doch diesmal ist der Fall spezieller: Der gefundene Orang-Utan ist ein Albino. So einen Fall hatte es in der 25-jährigen Geschichte von BOS noch nicht gegeben. Als das Rettungsteam das Tier abholt, ist es in schlechter Verfassung. Abgemagert, dehydriert, Blutspuren die von einem Kampf zeugen – und mit fünf Jahren sollte das junge Weibchen eigentlich noch in der Obhut seiner Mutter durch den Regenwald streifen. Dass das Tier Schlimmes erlebt haben muss, ist offensichtlich. Alba, wie das Weibchen inzwischen heißt, will bei seiner Ankunft nicht fressen, nicht trinken und zieht sich völlig verängstigt in sich selbst zurück. Unseren Tierärzten ist klar: Alba ist traumatisiert. Nicht nur ihr Körper braucht intensive Pflege, auch ihre Psyche.
Denn nicht nur Menschen können nach schrecklichen Erlebnissen psychisch erkranken, auch Orang-Utans und andere Menschenaffen können in solchen Fällen eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.
Was bedeutet eine Posttraumatische Belastungsstörung bei Menschen?
Beim Menschen wird diese sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) in der Regel diagnostiziert, wenn sechs Monate nach einem traumatischen Erlebnis Verhaltensauffälligkeiten auftreten. 80 Prozent aller Menschen erfahren während ihres Lebens ein traumatisches Erlebnis, jedoch erkranken nur fünf bis neun Prozent der Männer und zehn bis 18 Prozent der Frauen an einer PTSD. Nicht jedes Trauma führt also zu einer PTSD.
Es gibt aber Traumata, die eine höhere Präferenz für eine PTSD aufweisen als andere: z. B. zeigen 55,5 Prozent derjenigen, die sexualisierter Gewalt erleben mussten, Symptome einer PTSD, 38,8 Prozent der Menschen, die einen Krieg erlebten und 35,4 Prozent der Kinder, die Misshandlungen oder Vernachlässigungen in der Kindheit erleben. Nach einem Trauma, das eine PTSD auslöst, ist das Leben der Patienten fortan geprägt von wiederkehrenden Erinnerungen – im Wachzustand oder im Schlaf — die sich durch Albträume oder bildhafte Wahrnehmungen ausdrücken. Dies ist sehr belastend für die Menschen. Hinzu kommt meist ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten. Stimuli, die an das Trauma erinnern könnten, werden aktiv gemieden. Ist diese Vermeidung nicht möglich, kann es zu sogenannten Flashbacks kommen. Die Patienten bekommen große Angst, gar Panik, wenn sie eine ähnliche Situation nicht vermeiden können. Zusätzlich beklagen viele Patienten eine emotionale Taubheit. Physiologische Symptome sind Schlafstörungen, Aggressivität, übermäßige Schreckhaftigkeit, erhöhte Wachsamkeit sowie Störungen der Konzentration und des Gedächtnisses.
Der Verlauf einer PTSD kann sehr unterschiedlich sein. Ein Drittel der Erkrankten berichtet von Symptomverbesserungen innerhalb des ersten Jahres, ein Drittel von Verbesserungen innerhalb von fünf Jahren und ein Drittel leidet tatsächlich länger als zehn Jahre stark, ohne nennenswerte Verbesserungen an den Symptomen. Therapeutisch wird versucht die PTSD mit einer kognitiven Verhaltenstherapie in den Griff zu bekommen. Dabei sollen fatale Denkstrukturen, ebenso wie posttraumatisches Verhalten reduziert werden, womit ein möglichst beschwerdefreies Leben ermöglicht werden soll.
Auch Orang-Utans können eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln
2007 wurde das erste Mal wissenschaftlich PTSD auch bei Menschenaffen diagnostiziert. Ein internationales Forschungsteam konnte empirisch abgesichert zeigen, dass Schimpansen eine vollständige PTSD entwickeln können (Bradshaw et. al, 2007). Der indonesische Tierarzt Dr. Agus Fahroni, der für BOS auf Borneo arbeitet, stellte im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit mit Orang-Utans fest, dass auch diese Spezies eine voll ausgeprägte PTSD entwickeln kann. Schließlich seien Orang-Utans – wie Menschen auch – Primaten. Daher gäbe es kaum Unterschiede zwischen den kognitiven Prozessen, die an einer Entstehung der PTSD beteiligt seien.
Besonders anschaulich kann eine PTSD bei Orang-Utans am Beispiel von Pony beschrieben werden. Sie erlitt ein Schicksal, das sicherlich als eines der perversesten Beispiele menschlicher Grausamkeit an einem Orang-Utan gesehen werden muss. Bekannt wurde Ponys Schicksal durch eine Reportage des Schauspielers und Umweltaktivisten Hannes Jaenicke und durch Berichte von BOS. Ponys Schicksal zog medial sehr viel Aufmerksamkeit auf sich, doch sie ist nicht der einzige Orang-Utan, der eine solche Leidensgeschichte erleben musste.
Ponys Schicksal
Pony kam 2003 zu BOS, nachdem sie vermutlich schon seit Jahren in einem Bordell im Dorf Kareng Pangi (Zentral-Kalimantan) zwangsprostituiert wurde. Auf Pony aufmerksam wurden die indonesische Naturschutzbehörde BKSDA und BOS bereits 2002, jedoch brauchte es ein Jahr bis Pony aus den Fängen der Bordell-Besitzerin befreit werden konnte.
Pony war damals erst sechs Jahre alt. Über welchen Zeitraum sie genau immer wieder für die „Bedürfnisse“ ihrer Freier vergewaltigt worden war, konnte bis heute nicht geklärt werden. Die Besitzerin des Bordells hatte ihr Ringe und Halsketten umgehängt und ihr das komplette Fell geschoren, um sie für Freier menschlicher wirken zu lassen. Die Dorfbewohner waren einig auf der Seite der Zuhälterin und verteidigten, teils mit Waffen, das Bordell, um eine Befreiung Ponys zu verhindern. Der Hauptgrund für die verzögerte Herausgabe des Orang-Utan-Weibchens. Unvorstellbar, wie sie die ganze Zeit gelitten haben muss. Erst mit 35 bewaffneten Polizisten konnte Pony ihrer Hölle entrissen werden.
Führt man sich vor Augen, dass mehr als die Hälfte aller Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, eine vollausgeprägte PTSD entwickeln und die Wahrscheinlichkeit für eine PTSD bei mehr als 25 erlebten Traumata annähernd 100 Prozent beträgt, ist bei einem gewerblich missbrauchten Orang-Utan die Wahrscheinlichkeit immens hoch, dass dieser, wie ein Mensch auch, an einer PTSD erkrankt. Diese Wahrscheinlichkeiten sind aufgrund der genetischen Nähe von Mensch und Orang-Utan ebenso auf Pony übertragbar. So zeigen auch traumatisierte Orang-Utans PTSD-typische Verhaltensweisen. Oft haben sie eine Scheu gegenüber Menschen, die in der Regel als Trigger-Stimulus für die erlebten Ereignisse wirken, d.h. Menschen sind oft Verursacher jener Traumata und eine Konfrontation mit ihnen löst Flashbacks oder bildhafte Erinnerungen des Traumas aus. Daher vermied Pony zunächst auch in der BOS-Rettungsstation den Kontakt mit Menschen und brauchte viel Zeit, sich zu öffnen.
Ponys Rehabilitation war ein langer, schwieriger Weg. Anfangs hielt es niemand für möglich, dass sie sich irgendwann wieder auch nur annähernd wie ein wilder Orang-Utan verhalten könnte. Selbst gegenüber vertrauten Pflegerinnen konnte sie plötzlich äußerst aggressiv werden. Lediglich gegenüber Männern zeigte sie rhythmische Bewegungen, was jedoch vielmehr auf eine Konditionierung schließt, durch die sie überhaupt so lange im Bordell überleben konnte.
Erst 2013, zehn Jahre nach ihrer Rettung, war Pony soweit rehabilitiert, dass sie auf eine Flussinsel ziehen konnte, wo sie sich in der letzten Stufe ihrer Ausbildung befindet. Inzwischen zeigt sie arttypisch wildes Verhalten, kann eigene Schlafnester bauen, sich gegenüber Artgenossen durchsetzen und ihre Nahrung selbst suchen.
Dr. Fransiska Sulistyo, die Koordinatorin der Tierärzte bei der BOS Foundation, erinnert sich auch an zwei andere junge Orang-Utan-Weibchen, die als Babys zu BOS kamen. Eines wurde verletzt auf einer Palmöl-Plantage gefunden, das andere ohne weitere Hintergrundinformationen von einem Verwaltungsbeamten abgegeben. Nach den Erzählungen von Dr. Sulistyo zeigten sie einige Monate nach ihrer Ankunft im Rettungszentrum stark aggressives Verhalten gegenüber Menschen und anderen Orang-Utans. Außerdem fügten sie sich selbst Verletzungen zu. Vor allem zeige sich diese Art des posttraumatischen Verhaltens bei Orang-Utans, die als Babys Traumata erlitten, so Dr. Sulistyo.
Harlow´s Affenversuche in den 1950er-Jahren — Erste Evidenzen für eine PTSD?
Neben sexueller und körperlicher Gewalt scheint vor allem die Trennung von der Mutter eine traumatische Erfahrung für die Orang-Utans zu sein. Evidenzen für diese Annahme könnten alte psychologische Experimente aus den 1950er- und 1960er-Jahren des US-amerikanischen Psychologen Harry Harlow liefern. Direkt nach der Geburt trennte er Rhesusaffen-Babys von ihren Müttern und teilte sie drei experimentellen Bedingungen zu. In der Kontrollgruppe blieben die Babys bei ihren Müttern. Der ersten Experimentalgruppe wurde eine Assistentin zugeordnet, die sie regelmäßig fütterte. Sonst bestanden für diese Affenbabys keine sozialen Kontakte. In der zweiten Gruppe hatten sie eine Drahtmutter zur Verfügung, bei der sie trinken konnten. Die letzte Gruppe hatte eine Drahtmutter sowie eine Handtuchmutter mit einem affenähnlichen Gesicht. Futter bekamen sie jedoch nur bei der Drahtmutter. Die Ergebnisse waren erschreckend. Bereits im Säuglingsalter entwickelten die Babys, die keine sozialen Kontakte bis auf die Fütterung durch die Assistentin hatten sowie die Babys, die nur eine Drahtmutter hatten, schwere Verhaltensstörungen. Statt spielerischen Verhaltens zeigten sie vor allem emotionale Taubheit und Apathie. Auch die Babys aus der Bedingung mit der Handtuchmutter entwickelten gegenüber der Kontrollgruppe Auffälligkeiten, jedoch erst im Erwachsenenalter (Harlow, 1966). Diese mittlerweile über 50 Jahre alte Studie zeigt in eindrucksvoller und gleichzeitig schockierender Weise, was für dramatische Folgen die Trennung eines Affenbabys von der Mutter mit hoher Wahrscheinlichkeit hat.
So hilft BOS traumatisierten Orang-Utans
Daher ist es für die Arbeit von BOS von immenser Wichtigkeit, dass allein aufgefundene Jungtiere möglichst schnell nach ihrer Rettung soziale Wärme von tatkräftigen Pflegerinnen bekommen, um somit posttraumatisches Verhalten so gut es geht zu verhindern.
Die Kindererziehung ist in der indonesischen Kultur immer noch sehr stark von Frauen geprägt, weshalb sich in den BOS-Rettungsstationen ausschließlich Frauen um die Orang-Utan-Babys kümmern. Viel Zuneigung und Wärme stehen dabei im Zentrum der Aufzucht. Wie bei ihren eigenen Kindern lösen diese Ersatzmütter mit fortschreitendem Alter ihre Bindung und die Orang-Utans beginnen ein selbstständiges Leben – wie es die Orang-Utan-Mutter auch machen würde. Jedoch fällt nicht jedem Orang-Utan die menschliche Nähe am Anfang leicht. Für diese Babys wird ein intensiver Kontakt mit gleichaltrigen Säuglingen in der Station hergestellt, sodass sie sich zuerst untereinander wärmen und miteinander kuscheln können. Dies vereinfacht Schritt für Schritt die Gewöhnung an eine menschliche Ersatzmutter. Im Großen und Ganzen handelt es sich also um eine symptomorientierte Therapie für die kleinen Menschenaffen, die schon einige Erfolge feiern konnte. „Die Mehrheit von ihnen ist nach einiger Zeit in der Lage dem Auswilderungsprogramm beizutreten“, sagt Dr. Agus Fahroni. Und die tolle Nachricht dabei ist: Einige konnten bereits erfolgreich in die Freiheit entlassen werden.
Autoren: Jan Mücher / Francis Schachtebeck
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Zusammen mit der BKSDA entließ die BOS Foundation weitere sechs Orang-Utans aus Nyaru Menteng in den Bukit Baka Bukit Raya Nationalpark. Dies war die 17. Auswilderung aus Nyaru Menteng. Der Termin fiel auf den 23. Mai, dem 60. Jahrestag der Gründung der Provinz Zentralkalimantan, dem mit dieser Auswilderung gedacht wurde. Die BOS Foundation hofft, mit dieser Auswilderung auch in Indonesien mehr Aufmerksamkeit für den Orang-Utan-Schutz erlangen zu können.
Das Auswilderungsteam begab sich auf eine zehnstündige Reise, um ein Orang-Utan-Männchen und fünf Orang-Utan-Weibchen zu den Auswilderungspunkten im Nationalpark zu bringen. Die Orang-Utans Ranesi, Zoe, Kipoy, Carmen, Susan und Kato verließen in Begleitung unseres Teams am 22. Mai das Schutzzentrum Nyaru Menteng, nachdem sie vorab sediert, von den Tierärzten durchgecheckt und in die Transportboxen verladen wurden.
Die Gruppe brach von Nyaru Menteng aus in Richtung des Dorfs Tumbang Tundu auf. Das liegt am Rande des Nationalparks und ist der letztmöglich mit dem Auto erreichbare Punkt auf der Route. Alle zwei Stunden wurde der Gesundheitszustand der Orang-Utans überprüft und die Tiere bekamen Futter und Wasser. Im Dorf Tumbang Tundu wurden die Boxen zehn Stunden nach dem Aufbruch von Nyaru Menteng auf die in Borneo üblichen Kelotok-Motorboote verladen. Nach weiteren fünf Stunden auf dem Wasser erreichte das Team das Auswilderungscamp im Nationalpark.
Bereits 47 Orang-Utans im Nationalpark ausgewildert
Als das Team die Stelle am Flussufer erreichte, die zum Camp führt, wurden die Boxen abgeladen und zu den finalen Auswilderungspunkten im Nationalpark getragen. Endlich war es soweit: Die sechs Käfige der 13 bis 16 Jahre alten rehabilitierten Orang-Utans konnten geöffnet werden und die Tiere unternahmen ihre ersten Schritte in ihrem neuen freien Leben. Wir wünschen Ranesi, Zoe, Kipoy, Carmen, Susan und Kato viel Glück im Regenwald!
Dies ist nun die fünfte Auswilderung aus Nyaru Menteng in den Bukit Baka Bukit Raya Nationalpark. Damit steigt die Zahl der von BOS rehablitierten Orang-Utans in diesem Auswilderungsgebiet auf 47 Tiere.
Wir schätzen die Unterstützung der Regierung von Zentralkalimantan, die zum Schutz der Orang-Utans und deren Lebensraum beiträgt und hoffen, dass diese Zusammenarbeit lange währt und alle Verantwortlichen in der Provinz sich beteiligen. Wir danken allen, die diese Auswilderung unterstützt haben und so zum Orang-Utan-Schutz beitragen!
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Kalimantan ist der indonesische Name für die Insel Borneo, der drittgrößten der Welt nach Grönland und Neuguinea. Kalimantan ist auch die Heimat der Borneo-Orang-Utans, die sie sich natürlich mit unzähligen anderen Tierarten teilen. Viele von ihnen sind nicht minder bedroht als unsere rothaarigen Vettern. Wir wollen hier in loser Reihenfolge immer mal wieder einige dieser faszinierenden Geschöpfe vorstellen.
Der Nasenaffe (Nasalis larvatus)
Nasenaffen sind auf Borneo endemisch. Das bedeutet, sie kommen ausschließlich dort vor. Ihr Verbreitungsgebiet ist zudem auf sumpfige oder von Flüssen durchzogene Tiefland- und Küstenwälder beschränkt.
Woher sie ihren Namen haben, dürfte selbsterklärend sein. Zumindest bei den Männchen, denn die entsprechende Zier der Weibchen ist deutlich kleiner. Welche Funktionen die etwa 10 cm lange auffällige Erscheinung alle erfüllt, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall aber fühlen sich die Weibchen davon angezogen, was möglicherweise auch der einzige Zweck des übergroßen Organs ist. Ganz ähnlich verhält es übrigens mit den tellergroßen Backenwülsten dominanter Orang-Utan-Männchen, die dadurch für Orang-Utan-Frauen besonders attraktive wirken.
Männliche Nasenaffen erreichen eine Körperlänge von über 70 cm, die Weibchen bleiben mindestens 10 cm kleiner. Außerdem sind die Männchen mit bis über 20 kg doppelt so schwer wie die Weibchen. Der Schwanz ist dann noch einmal so lang wie der Körper. Damit gehören Nasenaffen zu den größten (Nicht-Menschen)-Affen.
Sie durchstreifen ihre Baumreviere in Trupps von bis zu 30 Tieren. Dabei beansprucht entweder ein Männchen etliche Weibchen oder aber die Gruppe besteht aus lauter Junggesellen. Oft verlassen junge Männchen ihre Gruppe und streifen eine Zeitlang allein umher. Aber auch die Weibchen sind nicht unselbständig und suchen sich mitunter auf eigene Faust einen neuen Partner. Die Reviere der einzelnen Gruppen können sich überlappen; Nasenaffen sind nicht besonders territorial. Manchmal übernachten mehrere Trupps in einem Baum oder ziehen eine Zeitlang gemeinsam umher. Zur gegenseitigen Fellpflege suchen sie sich dann allerdings nur Mitglieder der eigenen Gruppe.
Ihre Nahrung besteht ganz überwiegend aus Blättern und Früchten – der trommelförmige Bauch weist sie als Pflanzenfresser aus, deren Verdauungstrakt eine Menge Raum für die zellulosehaltige und voluminöse Blätternahrung benötigt.
Nasenaffen leben nie weit von Gewässern entfernt. Unter allen Primaten (den Menschen ausgenommen) können sie wahrscheinlich am besten schwimmen und tauchen – Tauchlängen von bis zu 20 Metern sind nicht ungewöhnlich. Oft springen sie direkt vom Baum in den Fluss.
Leider muss man gerade auch bei dieser Spezies daran erinnern, dass sie stark gefährdet ist. Nicht nur werden sie illegalerweise noch gejagt, auch und vor allem ihr Lebensraum ist von Holzeinschlag, Plantagen und anderen menschlichen Ansprüchen bedroht.
Übrigens, auf Borneo heißen die Nasenaffen auch monyet belanda (“Holländeraffe”) oder überhaupt gleich orang belanda — Holländer.
Verbreitungsgebiet der Nasenaffen
By U. Schröter (Own work) CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons
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