Hidden King­doms

Im tropi­schen Regen­wald auf Borneo tobt das Leben. Nicht nur am Boden, auch in den Baum­wip­feln herrscht ein reges Treiben. Dort wohnt das Spitz­hörn­chen, das sich seine Nahrung im Mangost­an­baum sucht. Auf der anderen Seite der Welt, in Brasi­lien, lebt das Büschel­äff­chen. Das kleine Tier passt in eine Menschen­hand. Es hat seinen Lebens­raum von Urwald an den Rand der Städte verlegt, wo es von dem lebt, was die Menschen wegwerfen.

Kleine Tiere wie sie brau­chen aufgrund ihres Stoff­wech­sels alle zwei bis drei Stunden Nahrung. Entgegen der Annahme ist Futter für die kleinen Pelz­tiere in Wäldern jedoch knapp und die Beschaf­fung gefähr­lich. Während Spitz­hörn­chen in Indo­ne­siens Urwäl­dern mit gefrä­ßigen Bart­schweinen und Orang Utans um die reifen Früchte des Mango­stan-Baums konkur­rieren, müssen Strei­fen­hörn­chen in den Weiten Nord­ame­rikas mindes­tens hundert Eicheln sammeln, um den Winter zu überstehen.Während manche Hörn­chen auf dem ehrli­chen Weg versu­chen, ihre unter­ir­di­sche Spei­se­kammer aufzu­füllen, haben sich andere auf das Plün­dern der Depots ihres Nach­barn spezia­li­siert. Das bleibt nicht unge­straft. Wird der Dieb entdeckt, kommt es zum Kampf. Die wilden ober- und unter­ir­di­schen Verfol­gungs­jagden können sogar tödlich enden. Spitz­hörn­chen im indo­ne­si­schen Dschungel müssen zwar nicht über den Winter kommen, haben aber trotzdem lange Durst­stre­cken zu bewäl­tigen. Denn die Bäume tragen nur saisonal Früchte und werden pünkt­lich zur Ernte­zeit von anderen Wald­tieren abge­erntet. Leer­ge­fres­sene Bäume zwingen die winzigen Baum-Bewohner zu gefähr­li­chen Expe­di­tionen mit unge­wissem Ausgang.

Borneos geheime Wildnis

Während die Kroko­dile in den Gewäs­sern des Kina­ba­tangan nach Beute jagt, streifen Nebel­parder durch das undurch­dring­liche Wald­reich. Die akro­ba­ti­schen Raub­katzen bewohnen vorwie­gend Bäume. Der Kina­ba­tangan fließt mitten durch Borneo und dient den verschie­densten Spezies als unver­sieg­bare Lebens­ader. Fast so alt wie der Fluss selbst ist das Krokodil — ein Reptil, dessen Gestalt sich in über 100 Millionen Jahren kaum verän­dert hat.

Während die Urzeit­echse in den Gewäs­sern des Kina­ba­tangan nach Beute jagt, streifen Nebel­parder durch das undurch­dring­liche Wald­reich. Die akro­ba­ti­schen Raub­katzen bewohnen vorwie­gend Bäume und sind stets auf der Suche nach Nahrung. Vögel, Hörn­chen und Nasen­affen zählen ebenso zu ihren Opfern wie junge Borneo-Orang-Utans.

Im Herzen von Sabah, dem malay­si­schen Bundes­staat auf der südost­asia­ti­schen Insel Borneo, entspringt ein wahrer Quell des Lebens: der Kina­ba­tangan. Über eine Strecke von rund 600 Kilo­me­tern schlän­gelt sich der Fluss aus dem Hoch­land bis zur Mündung in die Sulusee und bietet einer Arten­viel­falt ein Zuhause, wie sie auf der Erde kaum irgendwo sonst zu finden ist. Die einma­lige Tier- und Pflan­zen­welt des Kina­ba­tangan steht im Fokus der Serie „Borneo‘s Secret Kingdom“ — ange­fangen bei einer Urzeit­echse: Das Krokodil ist fast so alt wie der Fluss selbst und hat sich in den letzten 100 Millionen Jahren kaum verän­dert. Während das gefürch­tete Reptil an den Ufern und im Wasser seinen Opfern auflauert, durch­streifen Raub­katzen und Elefanten das Land rund um den magi­schen Strom. Die umlie­genden Regen­wälder sind außerdem Heimat eines der nächsten Verwandten des Menschen, des Oran-Utans. Hier, auf Borneo, befindet sich einer der letzten Rück­zugs­räume der akut vom Aussterben bedrohten Primaten. „Borneo‘s Secret Kingdom“ zeigt, wie sich die verschie­denen Tiere des Kina­ba­tangan tagtäg­lich aufs Neue dem Kampf ums Über­leben stellen — und dabei dem Natur­phä­nomen El Niño ebenso wie dem globalen Klima­wandel und der fort­schrei­tenden Urwald­ro­dung trotzen müssen. Jede einzelne Folge erzählt in bril­lanten Bildern eine neue Geschichte von einem der aufre­gendsten Natur­schau­plätze des Planeten.

Ausge­wil­derte Orang-Utans beginnen ihr neues Leben im Regenwald

Ausge­wil­derte Orang-Utans beginnen ihr neues Leben im Regenwald

Es ist einer der wich­tigsten Momente unserer Arbeit: Wenn sich die Trans­port­boxen öffnen, und die Orang-Utans ihr neues Leben im Regen­wald beginnen. So erging es auch den sieben Orang-Utans, die wir vor rund zwei Wochen im Bukut Baka Bukit Raya Natio­nal­park ausge­wil­dert haben. Nach einer mehr­tä­gigen Reise, die über unweg­same Stre­cken, kleine Dörfer und für die letzten sieben Stunden über Flüsse führte, wurden die Tiere eines nach dem anderen frei gelassen. Doch wie ging es dann weiter? Finden unsere Schütz­linge ausrei­chend Nahrung? Haben sie einen sicheren Schlaf? Leben sie sich gut ein?

Jeder Schritt wird dokumentiert

Wenn wir die Orang-Utans auswil­dern, bleibt immer ein kleines Post-Release-Moni­to­ring-Team zurück. Sie folgen den Spuren der “Neuen Wilden”, beob­achten sie in ihrem neuen Zuhause und doku­men­tieren jeden Schritt. Zumin­dest, wenn die Teams sie finden. Der kurz vor der Auswil­de­rung implan­tierte Chip hilft, die Tiere aufzu­spüren –  aller­dings ist die Reich­weite begrenzt. Ein wenig Glück gehört also auch dazu. Direkt nach der Auswil­de­rung ist das einfa­cher: Da heften sich die Teams gleich an die Fersen der Tiere und lassen sie möglichst nicht mehr aus den Augen. So auch dieses Mal. Und das Team konnte berichten, dass sich die Tiere gut im Regen­wald einleben. 

Suayap schlug sich erst mal den Bauch voll

Suayap
Suayap

Sobald ihr Käfig geöffnet wurde, klet­terte Suayap flott auf den nächsten Baum. Die Akti­vi­täten um sie herum konnten sie nicht aus der Ruhe bringen. Sie beob­ach­tete von ihrem sicheren Baum­sitz aus, wie das Auswil­de­rungs­team einen weiteren Käfig öffnete. Suayap, die 2006 aus Thai­land gerettet wurde, pflückte sich erst mal genüß­lich Feigen aus den Ästen, kaute auf Mahawai-Blät­tern rum und fing ein paar Termiten. Später näherte sie sich kurz Barlian und einem andere Orang-Utan und zog sich dann zurück. Als es dunkel wurde, baute sie in 25 Metern Höhe ihr Schlaf­nest, nicht weit von der Stelle entfernt, an der sie ausge­setzt wurde.

Barlian vertei­digte sein Revier

Barlian
Barlian

Barlian brauchte etwas mehr Zeit, um seine neue Umge­bung zu erkunden. Nachdem er einen Baum erklommen hatte, näherte er sich Suayap. Später kam noch ein weiterer, nicht ideti­fi­zier­barer Orang-Utan dazu, mit dem Barlian einen Kampf anfing. Doch er war noch sicht­lich von seiner Reise erschöpft. Barlian konnte die Rangelei nicht für sich entscheiden und ließ dann von dem Wider­sa­cher ab. Später stritt er sich noch mit Unggang. Doch kurz danach naschten die beiden in trauter Einig­keit von dem reichen Angebot an Wald­früchten. Für seine erste Nacht rich­tete sich Barilan ein altes Nest her, das nur etwa 100 Meter vom Punkt seiner Frei­las­sung entfernt lag. 

Reren suchte Kontakt zu den anderen

Reren
Reren

Reren wurde zusammen mit Darryl, Amber und Randy frei­ge­lassen. Die Gruppe blieb erst einmal zusammen und suchte gemeinsam Futter. Alle waren sehr hungrig, obwohl sie auch auf dem Trans­port vom Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trum bis zum Auswil­de­rungsort immer wieder ausrei­chend zu trinken und zu essen bekommen hatten. Aber offenbar macht das Erleben von Frei­heit hungrig. Uns so ließ sich Reren leckeren Kondang, Feigen, wilde Ingwer­kerne und Farne schme­cken. Sie baute ihr Nest gleich neben Ambers Nest, etwa 250 Meter entfernt von der Stelle, an der die beiden Käfige geöffnet wurden.

Amber hat keine Lust mehr auf Menschen

Amber
Amber

Vom ersten Moment an, als ihr Käfig geöffnet wurde, verhielt sich Amber dem  Auswil­de­rungs­team gegen­über leicht aggressiv. Im Grunde ein gesundes Verhalten, denn die Tiere sollen ja ohne Menschen zurecht kommen. Einige Male wirkte es so, als würde sie dem Team richtig drohen. Doch dann entschied sie sich doch dazu, Reren zu folgen und erst einmal etwas zu essen. Auch sie ließ sich Kondang- und Sang­kuang-Früchte sowie Capilak-Blätter schme­cken. Am ersten Abend blieb sie mit Reren zusammen und baute ihr Nest in direkter Nach­bar­schaft zu ihr.

Unggang musste sich erst mal zurecht finden

Unggang
Unggang

Unggang klet­terte auf einen Kape­ning-Baum, nachdem er frei­ge­lassen wurde. Er brauchte eine ganze Weile, um sich zu orien­tieren und die Lage zu über­bli­cken. Dann fing er langsam an, Früchte vom Baum zu pflü­cken und nach Termiten zu angeln. Als es dunkel wurde, baute er sein Nest in 30 Meter Höhe, nur etwa 100 Meter von seinem Frei­las­sungsort entfernt.

Darryl rangelte spie­le­risch mit Randy

Darryl
Darryl

Nachdem sein Käfig geöffnet wurde, prüfte Darryl kurz seine Umge­bung, bevor er auf einen nahe gele­genen Baum klet­terte. In der Baum­krone ange­kommen begann er sofort damit, sich den Magen zu füllen. Auch er war nach der langen Reise offen­sicht­lich hungrig. Dann erspähte er Randy und die beiden star­teten eine freund­schaft­liche Verfol­gungs­jagd. Wenn sie sich erwischten, rangelten sie spie­le­risch mitein­ander, nur um dann wieder eine Verfol­gung durch die Bäume zu starten. Schließ­lich beschloss Darryl, sein Nacht­nest in der Nähe seines Frei­las­sungs­ortes zu bauen.

Randy zeigt artge­rechtes Verhalten

Randy
Randy

Randy zeigte deut­lich seinen Unmut über die Anwe­sen­heit des Teams, als sein Käfig geöffnet wurde. Mit aufge­stellten Haaren rannte er fix auf einen Baum und konnte sich erst nach einiger Zeit wieder beru­higen. Später erkun­dete er die Gegend, fraß Früchte und Blätter, spielte mit Darryl und baute schließ­lich sein Nacht­nest etwa 200 Meter von seinem Auswil­de­rungsort entfernt.

Wir sind zuver­sicht­lich, dass alle sieben Orang-Utans ein glück­li­ches und erfolg­rei­ches Leben in ihrer neuen Heimat, dem Bukit Baka Bukit Raya National Park, führen werden. Wir behalten sie im Auge…

Sie können etwas verän­dern und helfen, Orang-Utans zu retten: JETZT SPENDEN

 

Smarte Denker – ein Einblick in das intel­li­gente Verhalten von Orang-Utans

Smarte Denker – ein Einblick in das intel­li­gente Verhalten von Orang-Utans

Dass Orang-Utans sehr intel­li­gent, einfalls­reich und kreativ sind, kann jeder bestä­tigen, der ein biss­chen Zeit mit den rothaa­rigen Wald­men­schen verbracht hat. Doch wie klug sind Orang-Utans? Und wie kann man ihre Intel­li­genz erforschen?

Was ist eigent­lich Intelligenz?

Intel­li­genz ist ein viel­schich­tiger Begriff, der viele Fähig­keiten zusam­men­fasst. Eine schnelle Auffas­sungs­gabe und Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung, die Fähig­keit schnell zu lernen, sich flexibel an neue Umwelt­be­din­gungen anzu­passen und logisch und effi­zient Probleme zu lösen sind nur einige davon. Doch wie erforscht man Intel­li­genz bei Tieren, die uns ja nicht durch verbale Sprache mitteilen können, was sie wahr­nehmen und denken? Hier sind Prima­to­logen und Kogni­ti­ons­bio­logen gefragt.

Von allen vier Menschen­affen, ist das Verhalten von Orang-Utans – neben dem von Gorillas, Bonobos und Schim­pansen – am schwie­rigsten in freier Wild­bahn zu erfor­schen. Das liegt vor allem daran, dass Orang-Utans im Gegen­satz zu den anderen Menschen­affen die meiste Zeit hoch oben im dichten Blät­ter­dach des Regen­waldes verbringen. Um mehr über ihre beson­deren Fähig­keiten zu erfahren, ist es daher neben der Frei­land­be­ob­ach­tung wichtig, ihr Verhalten auch unter kontrol­lierten Bedin­gungen zu beob­achten. Zum Beispiel, indem man sie mit einem neuen Problem konfron­tiert. Das ist für die Orang-Utans, die in Auffang­sta­tionen oder Zoos leben, eine will­kom­mene Abwechs­lung: So kommen Sie an beson­dere Lecke­reien, werden geistig geför­dert, und ihr Alltag wird berei­chert. Wir erhalten dadurch wich­tige Erkennt­nisse, um unsere nächsten Verwandten noch besser zu verstehen.

Orang-Utans benutzen Werk­zeuge, denken ökono­misch und treffen Entschei­dungen je nach Marktsituation.

In der Waldschule lernen die Tiere, Werkzeuge einzusetzen
In der Wald­schule lernen die Tiere, Werk­zeuge einzusetzen

Weniger als ein Prozent aller Tier­arten auf der Welt verwenden Werk­zeuge [1]. Da Werk­zeug­ge­brauch so extrem selten ist, wird er oft fälsch­li­cher­weise pauschal als intel­li­gent gewertet. Es gibt beispiels­weise Insekten, wie etwa Amei­sen­löwen, die Werk­zeuge nutzen. Jedoch ist ihr Verhalten ange­boren und stereotyp, wird also typi­scher­weise immer gleich­blei­bend in nur einer bestimmten Situa­tion eingesetzt.

Intel­li­genter Werk­zeug­ge­brauch erfor­dert die Fähig­keit, mehrere Infor­ma­ti­ons­ebenen zu inte­grieren, und das Verhalten schnell und flexibel an wech­selnde Situa­tionen anzu­passen. Und genau das können Orang-Utans. In meinen Studien haben wir heraus­ge­funden, dass Orang-Utans sorg­fältig zwischen sofort verfüg­barer Nahrung und Werk­zeug­ein­satz abwägen [2]. Wenn etwa das Futter in der Appa­ratur besser war als das sofort verfüg­bare Futter, wählten sie lieber das Werk­zeug und den damit verbun­denen Arbeits­ein­satz, um an den Lecker­bissen in der Appa­ratur zu gelangen. Dabei hinter­fragten die Tiere auch Details wie Quali­täts­un­ter­schiede beim Futter und ob ein bestimmtes Werk­zeug in der jewei­ligen Situa­tion über­haupt funk­tio­nieren könnte.

Padana nutzt einen Haken als Werkzeug
Versuch: Padana nutzt einen Haken als Werkzeug

Und das sogar wenn die Aufgabe immer komplexer und mehr­di­men­sio­naler wurde. In der freien Wild­bahn muss ein Orang-Utan auch ökono­mi­sche Entschei­dungen treffen. Beob­ach­tungen zeigen, dass Orang-Utans einen sehr guten Orien­tie­rungs­sinn haben und sich scheinbar merken können wann, wo, welche Früchte reif werden. Das ist beacht­lich, da Orang-Utans je nach Gebiet zwischen 100 bis zu über 300 verschie­dene Pflan­zen­arten und davon mehr als 150 verschie­dene Frucht­sorten fressen, von denen viele zu unter­schied­li­chen Zeiten reif werden [3, 4].

Was die Erfin­dung eines Haken­werk­zeuges betrifft, sind Orang-Utans auf dem Level von acht­jäh­rigen Kindern.

Orang-Utans können nicht nur Werk­zeuge gebrau­chen, sie stellen diese sogar selbst her. Doch sind sie auch in der Lage, ein neues Werk­zeug aus einem unbe­kannten Mate­rial und für ein noch nie zuvor ange­trof­fenes Problem erfinden? An dem soge­nannten ‘Haken­test‘ schei­tern sogar Kinder bis zu einem Alter von circa acht Jahren [5, 6]. Der  Test geht so: Ein mit einer Beloh­nung befülltes Körb­chen mit Henkel befindet sich  am Boden eines durch­sich­tigen Röhr­chens. Als einziges Hilfs­mittel gibt es eine Schnur und ein gerades Stück Draht. Um an die Beloh­nung zu gelangen, muss der Draht an einem Ende –  und zwar in einem bestimmten Winkel – zu einem Haken gebogen werden, während das rest­liche Stück gerade bleibt. Nun muss der Draht richtig herum einge­führt, der Haken in den Henkel einge­hängt und das Körb­chen vorsichtig nach oben gezogen werden. Oben ange­kommen wird es dann mit der anderen Hand entgegengenommen.

Padana zieht mit dem selbst gebogenen Haken ein Körbchen hoch
Padana zieht mit dem selbst gebo­genen Haken ein Körb­chen hoch

Da so viele unbe­lohnte Teil­schritte nötig sind, gilt der Versuch in der Verglei­chenden Psycho­logie als sehr schwierig. Da nicht bekannt war, ob Primaten in der Lage sind, dieses komplexe Problem zu lösen, entschied ich mich, diese Studie mit Orang-Utans durch­zu­führen. Mit Verblüf­fung und Freude wurde ich Zeuge, wie zwei der fünf Orang-Utans, Padana und Pini, inner­halb der ersten Minuten auf die Lösung kamen [7]. Die genaue Analyse ergab, dass sie dabei ziel­ori­en­tiert vorgingen. Sie bogen den Haken meis­tens direkt mit ihren Zähnen und dem Mund, während sie den Rest des Werk­zeugs gerade hielten. Danach führten sie es sofort richtig herum ein, hakten es in den Henkel ein und zogen das Körb­chen hoch. Inter­es­san­ter­weise verbes­serten sie das Werk­zeug­de­sign sogar in den folgenden Durch­gängen, da die Haken gegen Ende in einem stei­leren Winkel gebogen wurden als noch zu Beginn.
Diese Fähig­keit bei einem unserer nächsten Verwandten zu finden, ist erstaun­lich. In der mensch­li­chen Evolu­tion erscheinen Haken­werk­zeuge erst relativ spät. Erste archäo­lo­gi­sche Funde von Angel­haken und harpu­nen­ar­tigen, gekrümmten Objekten sind etwa 16.000 — 60.000 Jahre alt [8].

Verschiedene Haken als Werkzeug
Verschie­dene Haken als Werkzeug

Flexibel und schnell.

Wie flexibel und schnell die Orang-Utans aus dem Draht ein weiteres Werk­zeug herstellen können, zeigte sich in einer zweiten Aufgabe. Hier befand sich die Beloh­nung in der Mitte eines hori­zon­talen Röhr­chens. Um zu dem Futter zu gelangen, mussten die Tiere auf die Idee kommen ein um 90 Grad gebo­genes Draht­stück gerade zu biegen, um es als Stoß­werk­zeug zu benutzen. Auf diese Lösung kamen alle teil­neh­menden Orang-Utans [7].

Einfalls­reich und kreativ.

In anderen Studien wurden Orang-Utans mit einer Erdnuss konfron­tiert, die sich uner­reichbar tief in einer Röhre befand. Die Tiere spuckten spontan mehr­mals Wasser in das Gefäß. Dadurch hob sich der Wasser­spiegel, wobei die an der Ober­fläche schwim­mende Erdnuss immer höher beför­dert wurde, bis die Tiere sie schließ­lich greifen konnten. Dabei gingen sie immer ziel­stre­biger vor. Während sie beim ersten Mal noch knapp zehn Minuten benö­tigten, um auf die Idee zu kommen, brauchten sie beim letzten von zehn Durch­gängen nur noch wenige Sekunden [10, 11].

Gene­rell scheinen tech­ni­sche Intel­li­genz und die Fähig­keit neuar­tige Probleme zu lösen bei Orang-Utans stark ausge­prägt zu sein. In freier Wild­bahn lässt sich das zum Beispiel anhand der komplexen Nest­kon­struk­tionen beob­achten. Eine kürz­lich veröf­fent­lichte Studie hat die Schlaf­nester genauer unter­sucht. Dabei wurde fest­ge­stellt, dass Orang-Utans manchmal Äste von zwei oder sogar mehreren neben­ein­an­der­lie­genden Bäumen  zu einem Nest verknüpfen — ganz flexibel an die jewei­ligen Bedin­gungen ange­passt [9].

Planen Orang-Utans zukünf­tige Handlungsschritte?

Ob Menschen­affen für die Zukunft planen, wird immer noch disku­tiert [z.B. 12]. Dennoch gibt es mehrere Studien, die darauf hinweisen, dass Orang-Utans sowie andere Menschen­affen das passende Werk­zeug für eine zukünf­tige Anwen­dung auswählen, mit sich trans­por­tieren, um das Werk­zeug dann eine Stunde später oder sogar erst am nächsten Tag verwenden zu können [13, 14]. Inter­es­san­ter­weise entscheiden Orang-Utans, wenn sie die Wahl zwischen einer sofor­tigen Beloh­nung (einer wohl­schme­ckenden Traube) und mehreren unter­schied­li­chen Werk­zeugen haben, für das Werk­zeug, mit dem sie mehr als eine Stunde später an noch besser schme­ckenden Frucht­saft gelangen. Und dass, obwohl der Apparat während der Auswahl nicht sichtbar ist, das Werk­zeug in der Warte­zeit komplett funk­ti­onslos ist, und diese Wahl erst ganz am Ende zu Erfolg führt [14].

Ich bin davon über­zeugt, dass wir weiter darüber staunen werden, welche beson­deren Fähig­keiten diese außer­ge­wöhn­li­chen, so selten gewor­denen Tiere besitzen. Es gibt noch viel zu entdecken.

Eines unserer wich­tigsten Ziele ist es, mehr Regen­wald­flä­chen zu erwerben und zu Schutz­wald für unsere Orang-Utans umzu­wan­deln. Helfen auch Sie diesen faszi­nie­renden Lebens­raum und seine gewal­tige Arten­viel­falt zu erhalten und zu schützen. Werden auch Sie zum BOS-Unter­stützer. Mit ihrer Spende helfen sie den Orang-Utans und dem Regen­wald! Jeder Beitrag hilft.

Beitrag von Dr. Isabelle Laumer

Dr. Isabelle Laumer ist Primatologin und forscht über Orang-Utans
Dr. Isabelle Laumer ist Prima­to­login und forscht über Orang-Utans

Refe­renzen

1.    Biro D, Haslam M, Rutz C. (2013) Tool use as adapt­a­tion. Phil Trans R Soc B 368: 20120408.

2.    Laumer I.B., Auer­sperg A.M.I., Bugnyar T., Call J. (2019) Oran­gutans (Pongo abelii) make flexible decis­ions rela­tive to reward quality and tool func­tion­a­lity in a multi-dimen­sional tool-use task. PLoS One 14(2): e0211031.

3.    Galdikas, B. M. F. (1988). Oran­gutan diet, range and acti­vity at Tanjung Putting, Central Borneo. Inter­na­tional Journal of Prima­to­logy 9:1–35.

4.    Rijksen, H.D. (1978). A field Study of Suma­tran Oran­gutan (Pongo pygmaeus abelii Lesson 1827): Ecology, Beha­vior, and Conser­va­tion. Nether­lands: Veenan and Zonen.

5.    Cutting N, Apperly IA, Beck SR. (2011) Why do children lack the flexi­bi­lity to inno­vate tools? Journal of Expe­ri­mental Child Psycho­logy 109, 497–511.

6.    Cutting N., Apperly I.A., Chap­pell J., Beck, S.R. (2014) The puzzling diffi­culty of tool inno­va­tion: Why can´t children piece their know­ledge toge­ther? Journal of Expe­ri­mental Child Psycho­logy 125, 110–117.

7.    Laumer I.B., Call J., Bugnyar T., Auer­sperg A.M.I. (2018) Spon­ta­neous inno­va­tion of hook-bending and unben­ding in oran­gutans (Pongo abelii). Scien­tific Reports 8:16518

8.    Brad­field J., Choyke A.M. (2016) Bone tech­no­logy in Africa. Ency­clo­paedia of the History of Science, Tech­no­logy, and Medi­cine in Non-Western Cultures. 10.1007/978–94-007‑3934-5_8476‑2

9.    Didik Prasetyo, Sri Suci Utami, Jatna Supri­jatna (2012) Nest struc­tures in Bornean oran­gutans. Journal Biologi Indo­nesia 8 (2): 217–227.

10.    Mendes N., Hanus D., Call J. (2007) Raising the level: oran­gutans use water as a tool. Biology Letters 3, 453–455.

11.    DeLong C.M., Burnett C. (2020) Bornean Oran­gutans (Pongo pygmaeus pygmaeus) use water as a tool in the floa­ting object task. Animal Beha­vior and Cogni­tion, 7(3):327–342.

12.    Sudden­dorf T, Corballis MC, Collier-Baker E. (2009) How great is great ape fore­sight? Anim. Cogn. 12, 751–754.

13.    Mulcahy N., Call J. (2006) Apes Save Tools for Future Use. Science: 1038–1040.

14.    Osvath M., Osvath H. (2008) Chim­panzee (Pan troglo­dytes) and oran­gutan (Pongo abelii) forethought: self-control and pre-expe­ri­ence in the face of future tool use Animal Cogni­tion 11:661–674.

SOS TV

Es ist jeden Tag aufs Neue ein Kampf mit unsi­cherem Ausgang. Wenn die Flut kommt, wissen die Menschen in Desa Sayung nicht, wie lange sie dort noch leben können. SOS steht den Menschen dort bei. Im SOS-Kinder­dorf finden Mädchen und Jungen, die nicht in ihrem eigenen Eltern­haus aufwachsen können, ein neues Zuhause und lang­fris­tige Unter­stüt­zung bis zur Selbständigkeit.

Leschs Kosmos

Während der Mensch noch debat­tiert, ist die Natur schon mitten­drin: im Wandel durch den Klima­wandel. Und die Folgen sieht man nicht nur in der Arktis, sondern auch direkt vor der Haustür. Der Faktor Klima ist entschei­dend im Spiel des Lebens. Ändert er sich, werden die Karten neu gemischt. Doch wer verliert, wer gewinnt — und wo steht der Mensch? Harald Lesch geht dieser Frage nach und zeigt, warum keiner für sich allein stirbt.

Ganz deut­lich zeigt sich der Einfluss des Klima­wan­dels bei den Zugvö­geln. Sie verab­schieden sich im Herbst später und kehren im Früh­jahr eher zurück. Die Winter werden immer kürzer, sodass Vögel im Vergleich zu früher bereits schon Tage und Wochen eher einen reich gedeckten Tisch vorfinden. Manche Zugvögel fliegen inzwi­schen sogar gar nicht mehr gen Süden, sondern bleiben das ganze Jahr über in Deutsch­land. Doch es gibt nicht nur Gewinner: Die Brut­kästen des Trau­er­schnäp­pers beispiels­weise bleiben immer häufiger leer. Denn er kommt zu spät, obwohl er — nach dem früher geltenden Jahres­zeit­plan — pünkt­lich kommt. Warum passt er sich nicht den neuen Bedin­gungen an? Auch der Kuckuck gerät in Bedrängnis: Wenn er aus Afrika zurück­kehrt, sind einige seiner Wirts­vögel schon längst da. Das bringt ihn aus dem Rhythmus — und in Bedrängnis. Ist bald schon sein „kuckuck“ nicht mehr zu hören? Narwale fühlen sich in der Arktis beson­ders wohl. Sie sind bestens an das Leben in der Kälte ange­passt. Doch jetzt zieht sich das Eis immer weiter zurück, sodass ihre Feinde, die immer Abstand zum Meereis halten, in ihren Lebens­raum vordringen können. Ein Drama für die Narwale. Die Klima­ver­än­de­rungen beein­flussen das Wetter: Hitze­pe­ri­oden oder Dauer­regen im Sommer, Schnee­chaos und extreme Kälte im Winter. Experten prognos­ti­zieren, dass globale Wetter­phä­no­mene für vermehrte Extrem­ereig­nisse auch in Deutsch­land sorgen werden. Hitze­re­korde wurden inzwi­schen auch in Sibi­rien erreicht. Was dort geschieht, betrifft auch uns. Das Auftauen des Perma­f­rost­bo­dens könnte die globalen Verän­de­rungen stark beschleu­nigen und die globale Erwär­mung unwi­der­ruf­lich befeuern. Harald Lesch verfolgt die schon erkenn­baren Spuren der Klima­ver­än­de­rung und zeigt die Auswir­kungen auf das komplexe Netz­werk der Natur.